Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Einmal ist immer das erste Mal.

Als Mediziner ist man potentiellen Gefahren ausgesetzt über die andere Menschen nicht einmal nachdenken müssen. Das klassische Beispiel: Stichverletzungen. Obwohl ich bisweilen etwas tollpatschig bin und einen leichten Hang zur Selbstzerstörung habe, bin ich davon in den letzten sechs Jahren wie durch ein Wunder verschont geblieben.

Wobei  – nicht ganz. In einem Studentenkurs vor dem Allgemeinmedizinpraktikum sollten wir lernen wie man richtig impft. Ausnahmsweise nicht direkt am menschlichen Versuchsobjekt, sondern an Orangen. Das Impfen an sich wäre auch überhaupt kein Problem gewesen, wenn man dafür nicht vorher die Schutzkappe von der Nadel nehmen müsste. Ich habe daran gezogen und gezerrt und plötzlich hat sich die Kappe doch gelöst. Überrascht durch den unerwarteten Widerstandsverlust habe ich mir die Nadel mit viel Wucht in meinen Finger gestoßen. Es hat geblutet, ich konnte mehrere Tage den Finger nicht mehr bewegen (und hatte schon Angst, ich könnte einen Nerv oder eine Sehne durchtrennt haben) und habe mich gleichzeitig zum Gespött des ganzen Kurses gemacht – zu Recht, wie ich zugeben muss. Das nächste halbe Jahr lief ich mit einer leichten Angststörung vor Schutzkappen durch die Klinik und ich befürchte, der Allgemeinmediziner, in dessen Praxis ich mein Praktikum absolviert habe, hielt mich für ein bisschen merkwürdig, wenn ich mal wieder etwas hilflos mit der Impfinjektion da stand. Aber auch das größte Trauma überwindet man irgendwann und heute bin ich in der Lage selbstbewusst und ohne Verletzungen die Nadeln von ihrer Schutzkappe zu befreien. Juhu!

Doch diese Woche im OP folgte dann beim Nähen die erste wirkliche Stichverletzung:

Während die Ärztin den Bauch zunäht, gerate ich irgendwie mit meiner Hand in ihre Nadel. Wie genau, kann ich gar nicht sagen. Es geht alles ziemlich schnell, es ist hektisch im OP und dass man sich ein klein wenig piekst passiert eben gelegentlich. Nach einer Minute habe ich den ganzen Vorfall schon längst wieder vergessen.

Beim Handschuhausziehen nach dem Eingriff fällt mir dann jedoch eine blutende Kratzwunde an meinem linken Handrücken auf. Wo kommt das denn her? Wage erinnere ich mich, dass da während der OP ja irgendetwas war. Es war wohl doch nicht nur ein kleiner Pieks. Also bade ich meine Hand eine Weile in Desinfektionsmittel – es brennt ziemlich. So ganz entspricht das nicht dem üblichen Vorgehen bei Stichverletzungen, aber eigentlich sollte man auch sofort handeln und nicht erst eine Stunde nach dem eigentlichen Vorfall. Und etwas Desinfektionsmittel kann ja nicht schaden.

Und dann die Frage: „Melden? Oder besser einfach ignorieren?“ Die Patientin hatte vor wenigen Wochen eine Nierentransplantation und wird daher eigentlich sehr engmaschig überwacht. Außerdem ist sie 67 Jahre alt – dass sie sich da innerhalb der letzten Wochen mit HIV oder dem Hepatitis C Virus angesteckt hat, ist eher zu bezweifeln. Aber was ist, wenn doch? So hadere ich etwa eine halbe Stunde mit mir, bis ich schließlich der beteiligten Ärztin Bescheid sage und sie nach dem üblichen Vorgehen hier in Belgien frage. „Du musst selbst wissen, ob du das melden möchtest…“ ist ihre Antwort. Nicht sehr hilfreich. Letzten Endes entschließe ich mich dem „Better safe than sorry“-Prinzip treu zu bleiben und gehe in die Notaufnahme, um mir Blut abnehmen zu lassen.

Hier werde ich gebeten, erst einmal im Warteraum Platz zu nehmen. So sitze ich in meiner OP-Kleidung mit OP-Haube und lose hängendem Mundschutz zwischen den Patienten und begutachte den Monitor, der mir sagt, dass sich gerade über 30 Patienten in der Notaufnahme befinden und dass versucht wird, die Wartezeit für „gelbe“, also mittelschwer erkrankte, Patienten unter einer Stunde zu halten. Eine Stunde?! Ich bin nicht gelb, ich bin noch nicht einmal grün – gut, vielleicht extremst helles grün. Das kann ja dauern. Die Frau mir gegenüber starrt immer wieder entgeistert auf meine Blut-verschmierten Chucks als ich auch schon aufgerufen werde. Es hat wohl doch Vorteile, hier Mitarbeiter zu sein.

Der Arzt nimmt mir Blut ab, nachdem ich ihm mehrfach versprochen habe, nicht umzukippen, wenn er das bei mir im Sitzen und nicht im Liegen macht. Während dessen stellt er mir eine Reihe von Fragen: „Wurde ihre Haut bei dem Vorfall verletzt“ (Wäre ich gekommen, wenn man nichts gesehen hätte? Definitiv nicht!) „War die Nadel frisch oder war sie schon in Kontakt mit Blut bevor sie sich verletzt haben?“ (Ernsthaft?!) „Ist der Patient noch im OP?“ (Klar, ich lasse alles stehen und liegen und verlasse die OP wegen so etwas.) „Können Sie mit der Verletzung weiterarbeiten?“ (Nein, ich habe eine 5mm lange Wunde! Ich bin schwer verletzt!) Er beschließt, der Patientin Blut abzunehmen und verspricht mir, dass er seinem Kollegen im Spätdienst weitergibt, dass dieser mich anrufen solle, falls die Patientin an HIV oder Hepatitis C erkrankt sei. Denn dann wäre eine prophylaktische Behandlung notwendig – und das so schnell wie möglich.

Den ganzen restlichen Tag starre ich immer wieder auf mein Handy. Angerufen werde ich nicht. Aber man weiß ja selbst, wie durcheinander es bisweilen in der Notaufnahme zugeht. Hoffentlich wurde ich nicht einfach vergessen.

Am nächsten Morgen checke ich gleich die Blutwerte der Patientin – alles ist in Ordnung. Glück gehabt! Den Papierkram muss ich allerdings trotzdem noch erledigen und so kämpfe ich mich gemeinsam mit der Sekretärin durch die belgische Bürokratie, die der deutschen in nichts nachzustehen scheint. Nach zahlreichen Telefongesprächen und mehreren Formularen, in denen man unter anderem angeben muss in welchem Raum in welchem Stockwerk in welchem Gebäude der Vorfall geschehen ist, habe ich es endlich geschafft. Nur dem Chefarzt muss ich das Ganze noch melden. „Ich habe mich da gestern irgendwie gestochen, so ganz genau weiß ich aber auch nicht, wie das passiert ist.“ Peinlich. Aber er ist unglaublich freundlich und besorgt. Das hätte ich ehrlich gesagt von ihm nicht erwartet.

Am Ende beschwere ich mich ein kleines bisschen bei einer unserer Ärztinnen über den ganzen Aufwand wegen so einem kleinen Stich. „Siehst du, deswegen melden wir es nie, wenn uns das passiert.“ Irgendwie verständlich – aber ob das der richtige Ansatz ist. Ich bleibe dann wohl doch eher bei meinem „Better safe than sorry“ und bin dankbar, dass ich mir eine Woche später nur den Handschuh und nicht den Finger durchsteche.

Ann Arbor


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Das Coolste, das ich je in meinem Leben getan habe.

Vor der Laparoskopie, bei der einer 21-jährigen Patientin  ein  gutartiger Lebertumor (fokale noduläre Hyperplasie) entfernt werden soll, fragt mich der Chefarzt, ob ich nicht assistieren möchte. Das wundert mich doch sehr, da es bei Bauchspiegelungen hier für die PJler eigentlich nichts zu tun gibt. Aber „nein“ sagt man da ja natürlich nicht.

Nachdem ich innerhalb der ersten fünf Minuten sogar kurz einen Haken festgehalten habe, verfolge ich in den nächsten zwei Stunden die OP auf dem Bildschirm. Immerhin bin ich steril und kann mir einreden, dass ich gerade einen sehr wichtigen Beitrag zu dieser OP leiste. Der mindestens 10×10 cm große Tumor kann problemlos vom gesunden Lebergewebe abgetrennt werden und muss nun nur noch aus dem Bauchraum entfernt werden. Hierfür erhält die Patientin einen Schnitt im Unterleib, der mit einem  „Kaiserschnitt“ identisch ist, durch den der Tumor geborgen werden kann.

Dann sagt der Chefarzt „So, Ann Arbor, komm mal zu mir. Das wird jetzt ein besonderer Tag in deinem Leben.“

Hilfe! Was wird das denn? Ich gehe also zum Chefarzt, der zwischen den Beinen der Patientin steht. Er nimmt meine rechte Hand und zieht meinen Handschuh so weit wie möglich Richtung Ellbogen. Ich bin nun noch verwirrter als vorher. Was genau erwartet er denn jetzt von mir?

„So, jetzt stecke mal deine Hand hier rein!“

Da der Schnitt gerade groß genug für meine Hand ist, stecke ich sie brav in den Unterbauch der Patientin und freue mich, dass ich mal etwas tasten darf und nicht nur als stiller Zuschauer im OP stehe.

„Ja, und jetzt holst du den Tumor raus!“

Wie bitte?! Der Tumor liegt direkt unter dem Zwerchfell im rechten Oberbauch – das ist am „anderen Ende“ des Bauches. Soll ich da jetzt wirklich mit meiner Hand hin? Einfach so? Ja, das soll ich. Einfach so. Ohne Sicht. Also schiebe ich meine Hand vorsichtig etwas weiter in den Bauch der Patientin und verheddere mich natürlich gleich in den ersten Darmschlingen, die sich mir in den Weg legen. Ich befreie meine Hand und taste mich blind weiter voran. Es ist warm, weich, glibschig und überall ist Darm, den ich irgendwie umgehen muss – ein sehr merkwürdiges Gefühl. Irgendwann komme ich oben bei der Leber an, mein Arm verschwindet mittlerweile bis zum Ellbogen im Bauch der Patientin. Ich versuche den Tumor zu ertasten und halte schließlich irgendetwas in der Hand. Ist das der Tumor? Oder etwa ein Teil der Leber? Vorsichtig ziehe ich etwas daran, nichts bewegt sich.

Auf mein zögerliches „Kann ich denn da irgendetwas kaputt machen?“ folgt die nüchterne Antwort „Na klar.“

Ich versuche vorsichtig, was auch immer ich da in der Hand halte weiter zu mobilisieren.Jja keine Lebergefäße abreißen, falls es doch ein Teil der Leber ist. Aber irgendwann halte ich dann doch das komplette Stück in der Hand, es muss der Tumor sein. Ich ziehe meine Hand wieder durch den gesamten Bauch zurück und bringe den Tumor mit etwas Ziehen und Zerren ans Tageslicht. Der Prof gratuliert mir und ich muss unweigerlich grinsen. Das war das Coolste, das ich jemals gemacht habe…und gleichzeitig war es auch ein wenig erschreckend – in diesem kurzen Ausschnitt aus  „Scrubs“ wird das ganz gut beschrieben.

Nur einen kleinen Wehrmutstropfen gibt es: meine hellgrünen Chucks (ja, hier trägt man seine eigenen Schuhe im OP) sind jetzt voller Blut…aber das war es wert!

Ann Arbor


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Manchmal…

Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich den richtigen Beruf gewählt habe. Nicht, dass mir meine Arbeit keinen Spaß machen würde – ich liebe was ich tue – aber manchmal, da fehlt mir ein bisschen die Empathie. Wehleidige, uneinsichtige Menschen machen mich einfach etwas aggressiv. Vielleicht macht mich das gar zu einem schlechten Menschen?

Da liegt beispielsweise diese übergewichtige, geistig völlig zurechnungsfähige Patientin Anfang 60 bei uns auf Station. Sie hat chronische Wunden am Bein, erschwerend kam ein akuter Gefäßverschluss hinzu infolge dessen die Schicht, die die Muskeln umgibt, gespalten werden musste, da der Druck in ihrem Bein sonst zu hoch geworden wäre. Letzten Endes bedeutet das, dass sie drei große, tiefe, nicht gerade hübsche offene Stellen am Unterschenkel hat, die nun, nachdem die Gefäße alle wieder eröffnet sind und das Bein wieder abgeschwollen ist, versorgt werden müssen. Ein direkter Verschluss ist nicht möglich und bevor die plastischen Chirurgen aktiv werden können, muss die Wunde besser abheilen.

Hierfür soll eine Vakuumpumpe angebracht werden, die die Wundheilung fördert. Trotz langen Erklärungen lehnt die Patientin aber diesen kleinen Eingriff ab. Warum genau, das kann sie nicht erklären – sie wolle das einfach nicht und überhaupt, nochmal in den OP um die Pumpe anzubringen, das komme gar nicht in Frage. Der Chefarzt erklärt ihr, dass es keine Alternative zu der Pumpenbehandlung gibt – können die Wunden nicht zur Abheilung gebracht werden, dann bleibt nur noch eine Amputation des Beines. Gut, das wäre ihr lieber, dann sollen die Ärzte eben das Bein amputieren. Wir stehen alle ziemlich verwirrt im Raum und die Oberärztin versucht ihr beizubringen, dass man nicht – einfach so – ein Bein amputiert und dass das weiter reichende Konsequenzen hat, als die Patientin sich das im Moment vorstellen könnte. Doch die gute Dame bleibt stur und wir ziehen mit der Visite weiter in den nächsten Raum.

In der folgenden Woche scheint es doch irgendjemandem gelungen zu sein, der Patientin ins Gewissen zu reden und sie zieht schließlich doch den winzigen Eingriff, der zum Einbringen der Pumpe notwendig ist, der Amputation des gesamten Beines vor. Puh, gerade nochmal die Kurve gekriegt.

Aber damit hören die Anstrengungen um diese Patientin nicht auf. Sie bekommt Fieber. Für die Ursache stehen zwei Theorien im Raum – ihre: die Rückenschmerzen; unsere: der Blasenkatheter, der wahrscheinlich zu einer Harnwegsinfektion geführt hat. Wir wollen daher den Katheter ziehen, medizinisch notwendig ist er nicht mehr. Doch die Patientin sträubt sich und ist der festen Überzeugung das sie mit der Pumpe (die etwa die Größe einer Handtasche hat) auch mit Hilfe nicht zur Toilette gehen könne. Gut, dann zumindest auf den Toilettenstuhl. Nein, auch das sei unmöglich. Naja, dann bleibe eben nur noch die Bettpfanne. Nein, das sei völlig unmöglich, das wäre eine Zumutung. Ich bin mir nicht sicher, wie dieser Kampf am Ende ausgegangen ist.

Nun ist es bei Vakuumpumpen so, dass gelegentlich die Pumpen entfernt werden müssen um die Wunde zu reinigen und neue Schwämme einzusetzen. Das ist kein großer Aufwand, häufig kann man das sogar im Patientenbett durchführen. Da die Wunden unserer Patientin jedoch sehr groß und tief sind, machen wir die Reinigung lieber im OP um Sterilität zu gewährleisten. Heute ist es soweit und obwohl die Patientin Bescheid wusste, ist sie jetzt störrisch und möchte nicht. Nach langen Reden gibt sie schließlich nach. Doch schon bei der Lagerung im OP gibt es die nächsten Probleme. Um die offenen Bereiche ihres Beines gut zugänglich zu machen, soll sie sich auf die Seite drehen. Nein, das sei unmöglich, da könne sie ja von der Liege fallen und außerdem würde ihr Bein dabei bestimmt mehr wehtun. Als sie sich dann doch dreht muss sie zähneknirschend sogar zugeben, dass – wie von uns vermutet – die Schmerzen sogar weniger werden, wenn sie auf der Seite liegt. Während den Vorbereitungen beschwert sie sich in weinerlicher Stimme über alles und jeden – und überhaupt, warum würde das denn alles so lange dauern? Sie wolle jetzt zurück auf ihr Zimmer.

Kaum beginnen wir mit dem sterilen Abdecken des Beines, fängt sie an zu stöhnen und zu jammern, wie starke Schmerzen sie doch habe. Da hilft es auch nichts ihr zu erklären, dass wir eigentlich noch gar nichts gemacht haben. Sie habe heute außerdem auch noch überhaupt kein Schmerzmittel bekommen, da sei es ja kein Wunder, dass sie Schmerzen habe. Ein Blick in die Akte sagt uns, dass sie schon zwei Schmerzmittelinfusionen hatte und unsere Frage, warum sie denn den Schwestern auf Station nicht Bescheid gesagt habe, wenn sie tatsächlich nichts erhalten habe, kann sie irgendwie nicht beantworten. Die Anästhesistin hängt ihr eine Kurzinfusion Paracetamol an und wir beginnen den Eingriff, begleitet von ihren Klagen. Warum wir denn jetzt auch noch die plastischen Chirurgen hinzurufen (diese sollen die Wunden ohne Pumpe sehen, damit sie ihren späteren Eingriff zur Rekonstruktion planen können), das kann sie nicht verstehen. Außerdem, dieses Paracetamol, das helfe überhaupt nichts. Die Anästhesistin schlägt ihr vor, dass sie ihr gerne ein stärkeres Schmerzmittel geben könne, das würde allerdings bedeuten, dass sie nach dem Eingriff für kurze Zeit zur Überwachung in den Aufwachraum müsse. Aufwachraum? Nein, also da wolle sie auf keinen Fall hin. Warum? Keine Ahnung. Himmel! Ich versuche mich im Meditieren um nicht die Fassung zu verlieren. Als ich mich umschaue sehe ich, dass alle – die Ärzte, der OP-Pfleger und die Anästhesistin- die Augen verdrehen. Ich bin also wohl nicht die Einzige, die sich wünscht, dass wir ihr einfach eine Vollnarkose verpassen würden.

Vielleicht bin ich also doch kein schlechter Arzt und auch kein schlechter Mensch. Oder zumindest nicht der Einzige.

Ann Arbor