Hier in der Schweiz gibt es wenige niedergelassene Fachärzte; insbesondere in meinem Fachgebiet (Orthopädie) sind die Kollegen nicht so häufig in einer Praxis niedergelassen wie es in Deutschland der Fall ist. Vielmehr sind wir in den Spitälern angestellt und haben dort unsere Sprechstunden, OPs, stationären und ambulanten Patienten. In Deutschland ist es häufig so, dass man sich nach der Facharztausbildung aus der Klinik verabschiedet und in einer Praxis (zumeist Gemeinschaftspraxen) niederlässt. Die Vorteile liegen auf der Hand: keine Dienste mehr, kein stressiger Klinikalltag, man ist sein eigener Herr und kann in der Praxis tun und lassen, was man möchte, keine vorgeschriebenen Fallzahlen, etc etc. Nachteil: viele der niedergelassenen Kollegen sind nur noch rein konservativ – sprich: ohne Operationen durchzuführen – tätig und überweisen für nötige Operationen an nahegelegene Kliniken und deren dort tätige chirurgisch tätigen Orthopäden.
Genau hier finde ich beginnt es kritisch zu werden. Für den Patienten, der plötzlich von einem anderen Orthopäden operiert werden soll als er vorher und nach der Operation betreut wird. Schon stehen zwei Ärzte auf der Matte – und wie sagt das Sprichwort meist so treffend: „zwei Ärzte, drei Meinungen“. Zudem besteht prinzipiell eine ökonomisch getriggerte Gefahr: stellt euch vor ihr seid (vielleicht sogar Privat-) Patient bei einem rein konservativ tätigen niedergelassenen Orthopäden. Dieser verdient mit eurer Behandlung Geld (aussenvorgelassen, dass es Pauschalbeträge pro Quartal gibt und die Abrechnung ein Thema für sich ist). D.h. je regelmässiger er euch einbestellt (z.B. einmal im Quartal) um den Verlauf zu kontrollieren oder je öfter ihr um einen Termin verlangt, weil die Beschwerden mit den verordneten konservativen Methoden (Krankengymnastik, Massagen, Stosswellen…) nicht besser wurden, desto einträglicher für den Arzt. Weiterlesen →
Nach dem Artikel „Funktionieren“ gab es in den Kommentaren u.a. den Hinweis, dass die von Patientenseite erwartete Höflichkeit, Freundlichkeit und Zugewandtheit gegenüber dem Arzt (und der Pflege…) natürlich auf Gegenseitigkeit beruhen muss. Wahre Worte, die da geäußert wurden – und bei vielen Patienten selbstverständlich. Wie heißt das Sprichwort so treffend: „wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus„. Wenn ihr als Patienten eine gute Betreuung haben und mit dem Arzt auf Augenhöhe kommunizieren wollt, dann bringt ihm ein wenig Respekt entgegen. Vielleicht auch ein wenig Nachsicht, dass nicht jeder Assistenzarzt (oder Student) eure Leidensgeschichte in- und auswendig kennt, dass man nicht immer sofort weiß, wer ihr seid, wenn ihr euch in der Sprechstunde vorstellt und dass es z.B. auf Notaufnahmen neben euch viele weitere Patienten gibt, die versorgt werden wollen und die nach Dringlichkeit abgearbeitet werden müssen. Der Arzt ist nicht böswillig (meistens zumindest), wenn ihr ein wenig länger warten müsst, wenn er in der Sprechstunde erst in den Unterlagen nachliest, wie eure Leidensgeschichte verlief oder er euch Dinge zum gefühlt tausendsten Mal fragt, die schon zehn andere Ärzte vor und nach ihm gefragt haben (dass dabei oftmals ganz unterschiedliche Antworten herauskommen ist eine andere Geschichte).
Und bitte liebe potentiellen Patienten, auch Studenten als angehende Ärzte haben Gefühle und ein Recht auf Respekt. In der Rolle als PJ’ler in den deutschen Kliniken haben sie meist von Grund auf kein allzu leichtes Leben (vom Honorar für ihren Einsatz ganz zu schweigen) – und trotzdem beißen sie die Zähne zusammen und sich durch ihr letztes Studienjahr, um endlich das zu tun, was sie immer schon tun wollten – mit Neugier auf euch, mit Freude an euch und dem Umgang mit Menschen und mit Einsatz für euch und eurem Wohlergehen. Denkt daran, dass vielleicht genau in diesem Moment euer Arzt von morgen vor euch sitzt, in der Sprechstunde mit euch spricht und euch untersuchen möchte. Dass dieser junge Student in seiner Lernphase ist und nicht schon jetzt alles wie ein Profi meistern wird.
Meist werden wir vorgeschickt, um die Anamnese zu erheben und euch voruntersuchen zu können. Im Anschluss stellen wir euch unserem Oberarzt vor und dieser kommt danach zu euch und bespricht die weitere Therapie. Keine Panik also, euer Weißkittel ist beinahe bei euch, ihr müsst nur noch schnell an seinem „Türsteher“ oder, wie ich es den Patienten immer sage, „der Vorhut“ vorbei. Anders funktioniert das System der Sprechstunden in den Kliniken nicht, denn kein Oberarzt hat die Zeit sich für jeden Patienten so viel Zeit zu nehmen, wie es für Anamnese, Untersuchung, Besprechung von radiologischen Aufnahmen und Prozedere sowie dem anschließenden Sprechstundendiktat benötigt.
Da kann es, gerade bei den PJlern und Studenten, die erst neu in der Klinik sind und euch zuvor niemals gesehen haben, vorkommen, dass diese sich unsicher sind, die ein oder andere Frage stellen müssen, die ihr eurem behandelnden Ober- oder Chefarzt schon beantwortet habt oder dass diese nicht alles aus eurer Vorgeschichte wissen. Seht es mit einem Augenzwinkern – aber bitte, greift sie deswegen nicht an und/oder macht ihren Einsatz und ihre Arbeit schlecht. Sie geben garantiert ihr Bestes!
(c) delsmann.de
Mir ist es ein paar Mal passiert, dass ich von Patienten „dumm angemacht“ wurde. Während einer Famulatur in einer Privatklinik meinte eine der Privatpatientinnen rundheraus zu mir, als ich zur Anamneseerhebung und Voruntersuchung ins Zimmer kam, ich „habe ja eh keine Ahnung und wisse gar nichts“ und sie „wolle nur mit dem behandelnden Arzt sprechen„.
Immer wieder gut sind auch die Gesichtsausdrücke, wenn ich als als Erster das Zimmer betrete, bevor der Arzt kommt, und die fragenden Blicke, wo der Arzt sei und was ich denn hier verloren habe.
Damit kann ich eigentlich inzwischen ganz gut umgehen und nach einem Standardspruch, dass ich nur die Vorhut sei, bin ich bisher bei vielen Patienten gut gelandet und konnte sie beruhigen.
Manchmal aber, da weht einem unterschwellige Feindlichkeit entgegen, so vor einiger Zeit geschehen. Wir hatten Sprechstunde und als Unterassistent sind wir hier in der Schweiz als Arbeitskraft dafür voll mit eingerechnet. Das bedeutet, wir arbeiten wie die Assistenzärzte fleißig mit, bekommen die Akten der Patienten und müssen dann Anamnese und Untersuchung bei ihnen machen. Anschließend schauen wir uns die Röntgenbilder an und besprechen dann mit dem Leitenden den Stand der Therapie und die geäußerten Beschwerden. Daraufhin betritt man zu zweit das Untersuchungszimmer und der Leitende bespricht die Optionen (ggf. untersucht er nochmals gezielt nach) – und am Ende händigt man Physiorezepte, Medikamentenrezepte, Röntgenüberweisungen, Arbeitsunfähigkeiten etc aus und diktiert den Sprechstundenbericht.
Ich betrete also, nachdem ich die dicke Akte entgegengenommen und den letzten Sprechstundenbericht überflogen hatte, das Untersuchungszimmer und begrüße „meinen“ Patienten zu seiner Nachkontrolle. Dieser schaut mit großen Augen auf mein Namensschild und noch bevor ich beginnen kann meine Fragen an ihn zu stellen, wirft er mir entgegen, ob ich ihn denn kenne. Natürlich kenne ich von ihm nur das, was im letzten Sprechstunden bericht als Diagnosen und Bericht steht. Und ob ich irgendwas von ihm wisse. Ich hätte doch gar keine Ahnung von seinem Fall, was denn das dann bringe und solle und dass er bitte umgehend mit dem Leitenden direkt sprechen wolle. Weiterlesen →
Medizin ist eine sprechende Wissenschaft. Es gibt immer etwas zu sagen. Zu Kollegen. Zu Patienten. Zu Angehörigen. Und manchmal auch zu sich selbst (wenn man sonst niemanden zum Reden hat).
Patienten und Angehörige wollen über Untersuchungen und Therapien aufgeklärt werden, müssen in der Anamnese-Erhebung ausgefragt werden, Möglichkeiten, Prognosen und Chancen sollen dargelegt und erörtert werden. Verständlich.
Kollegen müssen zu Patienten befragt bzw. informiert werden, Pläne abgesprochen, Therapien rückbesprochen, die Pflege will in Behandlungen einbezogen werden, Visiten sollen stattfinden, im OP müssen bei der Pflege Instrumente angefordert, hier und da ein Scherz gemacht werden…… Verständlich.
Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist: manchmal hat man keine Lust zu reden. Manchmal geht es dem Arzt nicht gut. Sei es, weil er krank ist, sei es weil er Kummer hat, niedergeschlagen ist, ihm etwas auf der Seele liegt. Private Probleme, Sorgen, Ängste, Nöte. Oder auch nur ein schlechter Tag. Da möchte man ruhig sein, schweigen, vielleicht in Ruhe gelassen werden. Und still seiner Tätigkeit nachgehen.
Aber das geht nicht. Nicht in einem Umfeld, in dem, wie es viele angehende Mediziner noch im ersten Semester als Grund für ihre Studienwahl sagen, „man mit Menschen“ zu tun hat. Es wird erwartet, dass der Arzt funktioniert. Auch wenn es ihm schwer fällt.
Also öffnet man die Tür zum Patientenzimmer und legt seine Maske auf. Die Maske, die von Weißkitteln erwartet wird.
Freundlich. Zugewandt. Zuvorkommend. Nett. Höflich. Mit einem Lächeln auf den Lippen.
Auch, wenn es in der Person gleichzeitig brodelt und tobt.
Schaut euch ab und an mal die Augen eures Arztes an. Sehr ihr ein Lächeln?