Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Manchmal…

Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich den richtigen Beruf gewählt habe. Nicht, dass mir meine Arbeit keinen Spaß machen würde – ich liebe was ich tue – aber manchmal, da fehlt mir ein bisschen die Empathie. Wehleidige, uneinsichtige Menschen machen mich einfach etwas aggressiv. Vielleicht macht mich das gar zu einem schlechten Menschen?

Da liegt beispielsweise diese übergewichtige, geistig völlig zurechnungsfähige Patientin Anfang 60 bei uns auf Station. Sie hat chronische Wunden am Bein, erschwerend kam ein akuter Gefäßverschluss hinzu infolge dessen die Schicht, die die Muskeln umgibt, gespalten werden musste, da der Druck in ihrem Bein sonst zu hoch geworden wäre. Letzten Endes bedeutet das, dass sie drei große, tiefe, nicht gerade hübsche offene Stellen am Unterschenkel hat, die nun, nachdem die Gefäße alle wieder eröffnet sind und das Bein wieder abgeschwollen ist, versorgt werden müssen. Ein direkter Verschluss ist nicht möglich und bevor die plastischen Chirurgen aktiv werden können, muss die Wunde besser abheilen.

Hierfür soll eine Vakuumpumpe angebracht werden, die die Wundheilung fördert. Trotz langen Erklärungen lehnt die Patientin aber diesen kleinen Eingriff ab. Warum genau, das kann sie nicht erklären – sie wolle das einfach nicht und überhaupt, nochmal in den OP um die Pumpe anzubringen, das komme gar nicht in Frage. Der Chefarzt erklärt ihr, dass es keine Alternative zu der Pumpenbehandlung gibt – können die Wunden nicht zur Abheilung gebracht werden, dann bleibt nur noch eine Amputation des Beines. Gut, das wäre ihr lieber, dann sollen die Ärzte eben das Bein amputieren. Wir stehen alle ziemlich verwirrt im Raum und die Oberärztin versucht ihr beizubringen, dass man nicht – einfach so – ein Bein amputiert und dass das weiter reichende Konsequenzen hat, als die Patientin sich das im Moment vorstellen könnte. Doch die gute Dame bleibt stur und wir ziehen mit der Visite weiter in den nächsten Raum.

In der folgenden Woche scheint es doch irgendjemandem gelungen zu sein, der Patientin ins Gewissen zu reden und sie zieht schließlich doch den winzigen Eingriff, der zum Einbringen der Pumpe notwendig ist, der Amputation des gesamten Beines vor. Puh, gerade nochmal die Kurve gekriegt.

Aber damit hören die Anstrengungen um diese Patientin nicht auf. Sie bekommt Fieber. Für die Ursache stehen zwei Theorien im Raum – ihre: die Rückenschmerzen; unsere: der Blasenkatheter, der wahrscheinlich zu einer Harnwegsinfektion geführt hat. Wir wollen daher den Katheter ziehen, medizinisch notwendig ist er nicht mehr. Doch die Patientin sträubt sich und ist der festen Überzeugung das sie mit der Pumpe (die etwa die Größe einer Handtasche hat) auch mit Hilfe nicht zur Toilette gehen könne. Gut, dann zumindest auf den Toilettenstuhl. Nein, auch das sei unmöglich. Naja, dann bleibe eben nur noch die Bettpfanne. Nein, das sei völlig unmöglich, das wäre eine Zumutung. Ich bin mir nicht sicher, wie dieser Kampf am Ende ausgegangen ist.

Nun ist es bei Vakuumpumpen so, dass gelegentlich die Pumpen entfernt werden müssen um die Wunde zu reinigen und neue Schwämme einzusetzen. Das ist kein großer Aufwand, häufig kann man das sogar im Patientenbett durchführen. Da die Wunden unserer Patientin jedoch sehr groß und tief sind, machen wir die Reinigung lieber im OP um Sterilität zu gewährleisten. Heute ist es soweit und obwohl die Patientin Bescheid wusste, ist sie jetzt störrisch und möchte nicht. Nach langen Reden gibt sie schließlich nach. Doch schon bei der Lagerung im OP gibt es die nächsten Probleme. Um die offenen Bereiche ihres Beines gut zugänglich zu machen, soll sie sich auf die Seite drehen. Nein, das sei unmöglich, da könne sie ja von der Liege fallen und außerdem würde ihr Bein dabei bestimmt mehr wehtun. Als sie sich dann doch dreht muss sie zähneknirschend sogar zugeben, dass – wie von uns vermutet – die Schmerzen sogar weniger werden, wenn sie auf der Seite liegt. Während den Vorbereitungen beschwert sie sich in weinerlicher Stimme über alles und jeden – und überhaupt, warum würde das denn alles so lange dauern? Sie wolle jetzt zurück auf ihr Zimmer.

Kaum beginnen wir mit dem sterilen Abdecken des Beines, fängt sie an zu stöhnen und zu jammern, wie starke Schmerzen sie doch habe. Da hilft es auch nichts ihr zu erklären, dass wir eigentlich noch gar nichts gemacht haben. Sie habe heute außerdem auch noch überhaupt kein Schmerzmittel bekommen, da sei es ja kein Wunder, dass sie Schmerzen habe. Ein Blick in die Akte sagt uns, dass sie schon zwei Schmerzmittelinfusionen hatte und unsere Frage, warum sie denn den Schwestern auf Station nicht Bescheid gesagt habe, wenn sie tatsächlich nichts erhalten habe, kann sie irgendwie nicht beantworten. Die Anästhesistin hängt ihr eine Kurzinfusion Paracetamol an und wir beginnen den Eingriff, begleitet von ihren Klagen. Warum wir denn jetzt auch noch die plastischen Chirurgen hinzurufen (diese sollen die Wunden ohne Pumpe sehen, damit sie ihren späteren Eingriff zur Rekonstruktion planen können), das kann sie nicht verstehen. Außerdem, dieses Paracetamol, das helfe überhaupt nichts. Die Anästhesistin schlägt ihr vor, dass sie ihr gerne ein stärkeres Schmerzmittel geben könne, das würde allerdings bedeuten, dass sie nach dem Eingriff für kurze Zeit zur Überwachung in den Aufwachraum müsse. Aufwachraum? Nein, also da wolle sie auf keinen Fall hin. Warum? Keine Ahnung. Himmel! Ich versuche mich im Meditieren um nicht die Fassung zu verlieren. Als ich mich umschaue sehe ich, dass alle – die Ärzte, der OP-Pfleger und die Anästhesistin- die Augen verdrehen. Ich bin also wohl nicht die Einzige, die sich wünscht, dass wir ihr einfach eine Vollnarkose verpassen würden.

Vielleicht bin ich also doch kein schlechter Arzt und auch kein schlechter Mensch. Oder zumindest nicht der Einzige.

Ann Arbor


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Herzensangelegenheit

Ich hatte euch ja bereits von Frau Dr. Kupfer-Müllerhagen und ihrer schroffen Art mit uns Studenten berichtet. Und auch davon, dass mich ihre einfühlsame Art mit den Patientinnen beeindruckt hat. Inzwischen habe ich sie bei einer Aufklärung begleitet und muss das noch einmal unterstreichen!

Frau Wacker ist eine 86-jährige, rüstige, alte Dame, die ohne Begleitung zu uns in die Ambulanz kommt. Vor einigen Wochen war sie wegen Kontinenzproblemen in der Sprechstunde und heute soll ein kleiner Eingriff stattfinden um ihr zu helfen. Sie ist noch nicht aufgeklärt und ihr erster Weg führt zur Nakroseärztin. Diese steht eine viertel Stunde später bei uns in der Ambulanz und verkündet, dass sie Frau Wacker nicht narkotisieren wird. Die Patientin hat einen Befund ihres Kardiologen mitgebracht und auch das EKG aus unserem Haus zeigt es deutlich: Frau Wacker leidet an Herzrhythmusstörungen. Der Kardiologe hat schon vor Monaten dringend eine Schrittmacherimplantation empfohlen.

Als Frau Wacker ins Sprechzimmer kommt, ist sie verwirrt und aufgebracht. Offenbar hat ihr die Narkoseärztin bereits gesagt, dass die OP nicht stattfinden wird. „Ich habe doch schon alles daheim organisiert. Wissen Sie, ich lebe alleine und habe kaum jemanden der sich kümmert. Ist ja auch viel zu tun mit dem großen Haus und dem Garten. Und wer zahlt denn das Taxi, wenn ich jetzt wieder nach hause muss?“

Frau Dr. Kupfer-Müllerhagen findet erst einmal klare Worte: „Das Problem ist ihr Herz. Die Gefahr, dass sie nach der Narkose nicht mehr aufwachen ist zu groß. Wir können Sie so nicht operieren. Sie brauchen ganz dringend einen Schrittmacher.“

Frau Wacker schluckt. „Ist es denn wirklich so schlimm? Kann das nicht bis nach der Operation warten?

„Hat ihr Kardiologe denn nicht mit Ihnen über den Befund gesprochen?“

„Doch. Er meinte mein Herz stolpert manchmal und setzt aus.“ Frau Wacker zögert. „Wissen Sie, ich dachte, vielleicht setzt es dann irgendwann einfach aus und springt nicht mehr an. Dann würde ich einfach einschlafen. So würde ich mir das wünschen mit dem Tod.“

Es ist einen Moment still. Dann beugt sich Fr. Dr. Kupfer-Müllerhagen vor und sieht Frau Wacker fest an. „So wünschen wir uns das wohl alle mit dem Tod. Aber stellen sie sich vor, das passiert nicht zu hause bei Ihnen. Im Supermarkt zum Beispiel, oder in der Stadt. Dann kommen Sie ins Krankenhaus und keiner kann sagen, wie Sie wieder aufwachen. Vielleicht sind Sie dann nicht mehr dieselbe, die Sie waren. Das weiß man nicht. Natürlich muss das nicht passieren, aber die Gefahr besteht.“

Frau Wacker nickt langsam. „Dann meinen Sie also, das kann nicht warten mit dem Schrittmacher? Und was ist dann mit der Operation?“

„Jetzt geht es erst einmal darum, das Wichtige in Angriff zu nehmen. Die OP kann warten. Das ist nur eine kleine Sache, die kann man jederzeit nachholen. Aber das Wichtigste ist ihr Herz.“

Als Frau Wacker eine Viertelstunde später aufsteht und geht, hat sie sich viel von der Seele geredet. Über die Organisation die jetzt ansteht, über ihre Angst vor dem Schrittmacher, über ganz alltägliche Probleme. Und Frau Kupfer-Müllerhagen hat einfach zugehört. Obwohl vor der Tür noch zwei weitere Patientinnen warten. Aber wenn Frau Wacker jetzt mit festem Schritt zu Tür hinausgeht, nachdem sie sich mit eindringlichen Worten bedankt hat, dann war es das wert.

– Spekulantin


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Wie man es dreht und wendet – Beckenendlagen leicht gemacht

Von unserer geburtshilflichen Oberärztin Fr. Dr. Kupfer-Müllerhagen habe ich euch bisher noch nie erzählt. und das hat auch einen Grund. Ich hatte in 12 Wochen so gut wie nie mit ihr zu tun. Sie steht Lehre im Allgemeinen und Studenten im besonderen eher – sagen wir kritisch gegenüber. Das ist unglaublich schade, weil sie wohl mehr über Geburtshilfe weiß als alle Gynäkologen, die an der Uni Lehre machen. Sie beherrscht viele Techniken und hat jahrelange Erfahrung, vor allem in der vaginalen Entbindung spezieller Fälle.

Ein solcher spezieller Fall ist eine Beckenendlage, bei der das Kind quasi falsch herum im Mutterleib liegt. Nicht der Kopf, sondern der Po ist dem Muttermund zugewandt. Wenn tatsächlich der Steiß zuerst kommt – und nicht beispielsweise ein Fuß – kann man ein Kind in dieser Lage trotzdem entbinden. In den meisten Kliniken ist das allerdings eine Indikation für einen geplanten Kaiserschnitt, weshalb viele Frauen mit dem Wunsch einer Spontangeburt zu uns kommen. Genauer gesagt in die Sprechstunde von Fr. Dr. Kupfer-Müllerhagen. Also habe ich mir doch ein Herz gefasst und sie freundlich aber bestimmt gefragt, ob ich da nicht einmal dabei sein könnte. Begeistert war sie nicht, aber es hat sich gelohnt das zu ertragen.

An diesem Tag haben sich die Beckenendlagen im Wartezimmer nämlich geradezu gestapelt. Die erste Frau hatte bereits ein Kind geboren und wünschte sich auch für das zweite wieder eine Spontangeburt. Sie hat gehört, dass wir hier die Kinder drehen können und das würde sie gerne versuchen. Man kann tatsächlich eine sog. „Äußere Wendung“ versuchen, wenn ein Kind falsch herum liegt. Wenn sich der Steiß noch oberhalb der Beckenknochen befindet, kann man versuchen das Kind mit ein paar Handgriffen von außen am Bauch um 180° zu drehen. Bei Frau Lang  jedoch konnte man den Steiß nicht mehr erreichen. Sie war sehr enttäuscht, hatte fast Tränen in den Augen und es dauerte einen Moment, bevor ich begriff wieso. Sie nahm an, dass ein Kaiserschnitt nun unumgänglich sei. Zum ersten Mal an diesem Tag, war ich sehr beeindruckt von Frau Dr. Kupfer-Müllerhagen, die das mit einem Blick erfasst hatte und Frau Lang ruhig darüber aufklärte, dass eine vaginale Entbindung absolut möglich sei. Mit viel Zeit und einem Beckenmodell erklärte sie ihr – und damit auch mir – den Ablauf einer solchen Geburt und wir entließen eine zufriedene Frau aus dem Sprechzimmer.

Frau Rund hatte dann mehr Glück. Der Ultraschall und die Tastuntersuchung zeigten optimale Bedingungen für einen Wendeversuch. Und tatsächlich konnte Frau Dr. Kupfer-Müllerhagen vorsichtig eine Hand zwischen den kindlichen Po und den mütterlichen Beckenknochen schieben. Mit der anderen Hand bildete sie einen Durckpunkt für den Kopf und gab dann vorsichtig einen Impuls zur Seite. Und tatsächlich: Der kleine Knirps arbeitete eifrig mit, nahm den Po nach oben und drehte sich mit dem Rücken entlang der Gebärmutterwand um. Nachdem er einmal auf den Weg gebracht war, erforderte die Wendung nur noch wenige lenkende Handgriffe an Rücken und Kopf. Wow!
Jetzt heißt es also Daumen drücken, dass sich das Kind nicht wieder zurück dreht bis zur Geburt. Deshalb ist es auch so schwierig den richtigen Zeitpunkt für eine Äußere Wendung zu finden. Ist man zu früh dran, besteht die Gefahr, dass alles umsonst war, weil sich das Kind wieder zurück dreht. Wartet man zu lange, sitz der Steiß schon zu tief, wie bei Frau Lang.

Doch auch dann kann alles glatt laufen. Wie bei Frau Weiß, die in der selben Woche mit Wehentätigkeit in den Kreissaal kommt. Beckenendlage am Termin. Und weil ich jetzt ein bisschen die Scheu vor Frau Dr. Kupfer-Müllerhagen verloren habe, bitte ich darum bei der Geburt dabei sein zu dürfen. Es ist wirklich noch beeindruckender als die Äußere Wendung. Frau Weiß bekommt ihr Kind im Vierfüßlerstand und sie bekommt es sozusagen alleine. Und das funktioniert super. Der Steiß schiebt sich langsam nach draußen und ist dann plötzlich durch, die Beine fallen hinterher. Jetzt ist es wichtig, dass keine das Kind anfasst und erschreckt. Sonst würde es wahrscheinlich die Arme nach oben reißen und diese müssten neben dem Kopf auch noch durch den Geburtskanal passen. So aber hält es die Arme verschränkt auf der Brust und passt problemlos durch. Jetzt sitzt es quasi auf dem Bett, „Blick“ nach hinten und mit der nächsten Wehe kommt der Kopf. Einfach so. Es wirkt so unglaublich leicht, aber daran wie alle erleichtert aufatmen, merkt man, dass sie Anspannung doch groß gewesen ist. Mutter und Kind sind wohlauf und glücklich. Das nenne ich mal eine schöne Geburt.

– Spekulantin