Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Leise Töne

Mein erstes Tertial endete voller Frust über die Chefetage, aber aus der Gyn ging es ja in die Chirurgie und damit ins gelobte Land. Was hatte ich nicht alles Gutes gehört über den neuen Chefarzt der Chirurgen. Selbst erst seit wenigen Monaten im Haus hatte er es geschafft alle zu begeistern. Schwestern, OP-Pflege, Ärzte, meine Vor-PJler waren voll des Lobs.

Und dass für ihn die Lehre nicht irgendwo nach der Sauberkeit der Station kam, hatte ich selbst schon erlebt. Während meiner gesamten Zeit im Haus, hatte er fast jeden Freitag geschafft sich eine halbe Stunde bis Stunde Zeit zu nehmen und mit uns PJlern eine Lehrvisiste zu machen. So richtig mit Patienten vorstellen, anschauen und dann drüber reden – eigentlich jeden Freitag wieder eine kleine Generalprobe für den mündlichen Teil des Staatsexamen.

Wo der Chef der Gyn noch meinte „Bei uns ist kein Platz für Lehre“, hieß es in der Chirurgie „Wir schaffen Platz für Lehre“. Und wenn diese Einstellung von ganz oben kommt, dann wirkt das im ganzen Team. Die chirurgischen Seminare fanden zuverlässig statt, die Ärzte werden dafür aus Ambulanz, OP oder von Station freigestellt und auch für uns PJler fand sich immer eine Ablösung, damit wir pünktlich waren. Ich war wirklich beeindruckt.

Ihr seht, ich bin auch schon mitten drin im Loben, aber es ist einfach eines der wenigen Male in meinem Studium gewesen, dass jemand all die Versprechungen über Lehre auch wahr gemacht hat. Schon bei so „Kleinigkeiten“ wie Fragen im OP. Wie oft stand ich mit dem Chef am Tisch, eigentlich nur als zweite Assistenz bei einem großen Baucheingriff und er hat immer wieder seine Arbeit unterbrochen, hochgesehen und mich einbezogen: „Schauen Sie mal hier, da sieht man jetzt dieses Gefäß.“ „Fassen Sie mal da hinein, spüren sie den Pulsschlag der Aorta.“ „Jetzt präpariere ich hier entlang dieser Schicht, das ist die besagte mesorektale Faszie.“ und so weiter. Er hat nie wirklich am Tisch geprüft und uns Fragen gestellt, aber er hat alle Fragen geduldig beantwortet.

Kein Wunder, dass die OPs mit ihm heiß begehrt waren. Und dabei hatte ich wirklich ein bisschen Angst vor der Chirurgie. Chirurgische Chefärzte habe ich in verschiedenen Famulaturen als gestresste Choleriker kennen gelernt. In meinem PJ-Tertial durfte ich lernen, dass man da mal wieder nicht verallgemeinern kann. Nicht einmal habe ich erlebt, dass der Chef laut geworden wäre am Tisch der in Besprechungen. Er hat durchaus deutliche Worte gefunden, wenn ihm etwas nicht gepasst hat, aber ohne dabei laut zu werden oder irgendjemanden bloß zu stellen.

Ich glaube, er hat einfach so ein unglaubliche Selbstvertrauen in sich und seine Fähigkeiten, dass er das vielleicht nicht nötig hat. Und dass ihm auch nicht der Schweiß ausbricht, wenn im OP einmal etwas schief läuft. Meine lebendigste Erinnerung ist eine Whipple-OP, bei der wir derbe veränderte Lymphknoten bis tief in den Bauch getastet haben. Und während er ganz entspannt verbackenes Gewebe von der Aorta schält, meint er ohne den Kopf zu heben ganz ruhig: „Haben wir einen dünnen Faden am Tisch. Könnte sein, dass wir den gleich brauchen.“ und macht weiter, während unter den OP-Schwestern kurzfristig Panik ausbricht den passenden Faden zu besorgen. Er hat ihm am Ende nicht gebraucht, aber ich wette er wäre auch locker geblieben, wenn er plötzlich spritzend aus der Aorta geblutet hätte.

So viel Selbstbewusstsein hat aber auch seine Problemseiten. Weiterlesen


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PJ-Alltag in Belgien.

7.45 Uhr              Frühbesprechung. Alle chirurgischen Patienten der Intensivstationen werden besprochen. Da ich besagte Patienten noch nie gesehen habe, ist es leider eher weniger spannend, ob deren Hämoglobinwert gerade um 1 gefallen oder gestiegen ist. Aber es gibt Kaffee!

8.15 Uhr              Die Frühbesprechung ist vorbei, vor 9 Uhr werden die OPs nicht starten – zumindest in der Regel. Da man das aber nie genau wissen kann und uns auch niemand Bescheid sagt, gehen wir direkt in den OP und stehen ein bisschen sinnlos in der Gegend herum. Lieve (die belgische PJlerin) und ich teilen uns die beiden OP-Säle auf (heute gibt es zum Glück zwei Säle), um unsere Chancen im Kampf mit den insgesamt fünf Assistenzärzten um die OP-Assistenz zumindest etwas zu erhöhen. In der Regel ziehen wir jedoch den Kürzeren.

9.00 Uhr              Die Leberresektion in meinem Saal beginnt. Natürlich bin ich wieder nicht steril am Tisch. Auch auf dem Bildschirm ist heute nichts zu erkennen, da das OP-Feld durch den Kopf des Operateurs verdeckt ist. Sehr schön. Lieve hat ein kleines Erfolgserlebnis und darf im anderen Saal bei der Leistenbruch-OP assistieren. Leistenbruch-OPs sind zwar gänzlich unspektakulär und nähen dürfen wir nicht, aber immerhin ist sie steril. Ein kleiner Sieg für das PJler-Team.

11.30 Uhr            Lieve hat sich zu mir gesellt und wir stehen nun beide sinnlos im OP herum und sehen nichts als die Rücken der Operateure. Der Lerneffekt hierbei ist unglaublich. Trotzdem wird von uns erwartet, dass wir anwesend sind.

13.30 Uhr            Nach dem Mittagessen gehen wir wieder in den OP, vielleicht haben sie es nach einer Stunde tatsächlich geschafft, den nächsten Patienten OP-bereit zu haben. Neues Spiel, neues Glück. Manchmal dürfen wir immerhin steril sein, bis der Chefarzt an den Tisch kommt. Diesmal aber nicht. Ein 61-jähriger Patient ist von einem Baum gefallen – stumpfes Lebertrauma. Das könnte ja ausnahmsweise sogar spannend und lehrreich werden, selbst wenn wir alles nur auf dem Bildschirm verfolgen können. Aber der Anästhesist und unsere Oberärztin werfen uns unfreundlich aus dem Raum, in dem angeblich zu viele Leute wären (nicht mehr als sonst auch, aber gut). Der Anästhesie-PJler freut sich und geht nach Hause, doch wir müssen heute Abend unserem Chefarzt noch Patienten vorstellen, geplant ist 17 Uhr.

17.00 Uhr            Nach endlosem Herumsitzen ist es fünf. Aber weder Chef- noch Oberärzte tauchen auf, also warten wir weiter.

18.00 Uhr            Der Chefarzt kommt vorbei mit der Ansage „in 10 Minuten geht es los“. Wir machen uns mit dem Assistenzarzt auf den Weg, damit alles bereit ist, wenn der Chef kommt.

18.45 Uhr            Endlich. Das Warten hat mal wieder ein Ende. Zunächst werden die Patienten der Station besprochen. Da wir immer schön brav im OP bleiben sollen, weiß ich noch nicht einmal, wo überhaupt unsere Station ist. Danach stellen wir dem Chefarzt die Patienten für die OPs der nächsten Woche vor. Krankheitsgeschichte, Bildgebung, geplante OP. Auch diese Patienten haben wir noch nie gesehen, Anamnese und Untersuchungsbefunde müssen wir uns aus alten Arztbriefen zusammensuchen.

19.45 Uhr            Feierabend. Ich frage mich, was ich heute in diesen 12 Stunden eigentlich gelernt habe. Vielleicht Frustrationstoleranz.

Nachts träume ich vom Haken-/Klappe-halten-Prinzip in Deutschland und von (manchmal) schlechten Lehrveranstaltungen – immerhin würde man hierbei irgendetwas sehen und lernen…Aber das Gras ist auf der anderen Seite bekanntlich immer grüner…

Ann Arbor


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Das Beste kommt zum Schluss

Am Anfang meiner Zeit in der Gyn habe ich mir irgendwann meine kleine persönliche To-Do-Liste erstellt. Da stand alles drauf, was ich in den 4 Monaten gerne lernen, sehen und tun würde. Ich bin ein großer Freund von To-Do-Listen. Was da drauf steht, fühlt sich immer schon halb erledigt an, obwohl man nur den Stift in die Hand genommen hat um es zu notieren. Und dann bleiben die To-Do-Listen meistens liegen. Ein bisschen so war das mit meiner Gyn-Liste auch.

Als ich sie Mitte der vorletzten Woche in der Gyn wieder in meinem Spind gefunden habe, musste ich feststellen, dass die meisten Punkte noch unerfüllt waren. „Nähen“ und „Drainagen legen“ hat es noch in der ersten Woche zu einem Häkchen gebracht, aber danach… Und dabei hatte ich gedacht, ich wäre direkt gewesen darin meine Wünsche zu äußern. Aber tatsächlich habe ich 13 Wochen lang durchschnittliche einen Nachmittag die Woche in der Brustsprechstunde verbracht, ohne jemals eine Brust zu schallen.

Und als ich OA Michael darauf angesprochen habe, ob das nicht mal möglich wäre, zeigte sich ganz klar, wo das Problem liegt. „Wenn du das jetzt so direkt sagst… Klar können wir das einrichten.“ Ich war offenbar tatsächlich nicht frech genug gewesen. Und von selbst hatte es keiner auf der Rechnung mich auch mal etwas machen zu lassen. Ein bisschen traurig in einem Lehrkrankenhaus, aber gut. Selbst ist die Frau!

Und so habe ich meine letzte Woche überwiegend mit dem Satz verbracht: „Kann ICH das machen?“ Und siehe da: Montags mache ich die Abschlussuntersuchungen der Gyn-Station. Erst nur den vaginalen Ultraschall und dann auch die Untersuchung mit den Spekula. Und keine Patientin fällt in Ohnmacht oder beschwert sich. Und es ist tatsächlich gar nicht so kompliziert, beim zweiten Mal geht es ohne Hilfestellung. Und zum Schluss schreibt die Ärztin meinem eigenen Untersuchungsbefund in den Brief.

Am Dienstag bin ich einmal mehr bei Michael in der Brustsprechstunde dabei. Und mache alle Ultraschalluntersuchungen. Zuerst nur orientierend vorab und dann vollständig. Die vorletzte Patientin des Tages betreue ich ganz alleine, während er daneben sitzt, mir auf die Finger schaut und meine Schreibkraft spielt. SO soll Lehre sein. Und weil ihn dann irgendwie der Ehrgeiz packt, als er meine Begeisterung bemerkt, darf ich zum Abschluss der Sprechstunde noch eine Patientin stanzen. Als wir zusammenpacken, grinst er mich an und meint: „Jetzt hast du mehr gemacht, als unsere Assistenzärzte in der ganzen Ausbildung.“ Schön für mich, aber schlimm für die Assistenten und ein Armutszeugnis für die Klinik.

Mittwochs versuche ich mein Glück bei den Schwestern auf der Wochenstation. Ich schreibe in jeden Entlassbrief nach Geburt etwas über Hörtest und U2, aber erlebt habe ich beides nie. Leider sind die Schwestern nicht ganz so kooperativ. Ihr Versprechen mich für die nächsten Untersuchungen anzurufen, halten sie nicht. Auch am nächsten Tag klappt es nicht und so bleibt dieser Punkt auf meiner Liste unerledigt.

Dafür findet sich an dem Mittwoch endlich mal die Zeit und ein Raum um zwei schwangere Frauen zu schallen – 16. und 36. Woche. Der Lerneffekt ist enorm, weil ich erstens quasi direkten Vergleich zwischen früher und später fetaler Entwicklung habe. Und zweitens bei beiden Frauen erst einmal 10 Minuten alleine mein Glück versuchen kann. Erst dann kommt Engelchen dazu und lässt sich zeigen, was ich gesehen habe, lässt mich messen und erklärt mir, wie ich ein besseres Schallfenster finde. Und wieder war die Angst vor Beschwerden seitens der Frauen völlig umsonst. Sie sind ganz begeistert, dass sich jemand so viel Zeit nimmt und alles erklärt und zeigt.

Am Donnerstag ist meine To-Do-Liste schon ziemlich zusammengeschrumpft. Und das Highlight dieses Tages stand erst gar nicht drauf. Ich operiere mit einer Oberärztin einen gutartigen Brusttumor. Und als sie durch die Haut durch ist, lässt sich mich tasten. Der Knoten ist völlig abgekapselt. „Wow, das kann man ja quasi mit dem Finger lösen.“ Und siehe da, ich ernte ein Nicken und ein: „Na dann mach mal.“ Und so habe ich an meinem vorletzten Tag auch noch ein bisschen das Gefühl operiert zu haben.

Die wichtigste Lektion, die ich in dieser letzten Woche allerdings gelernt habe, ist einmal mehr: Frechheit siegt! Mal sehen wie das bei den Chirurgen ankommt.

– Spekulantin

Ab dem neuen Jahr gibt es von mir also Geschichten aus der Chirurgie. Wenn noch irgendwelche Fragen zur Gynäkologie offen geblieben sind, dann zögert nicht. Die werden natürlich weiterhin gerne beantwortet 😉