Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Warten auf den Tod – aus einer anderen Perspektive

Im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft erkrankt die 28-jährige Frau B. an einem HELLP-Syndrom. HELLP ist ein Akronym und steht für die typischen Befunde bei dieser Erkrankung:

  1. Haemolysis – also die Auflösung der Erythrozyten (roten Blutkörperchen), die für den Sauerstofftransport benötigt werden
  2. Elevated Liver Enzymes – erhöhte Leberwerte, die für eine starke Schädigung des Lebergewebes sprechen
  3. Low Platelet Count – erniedrigte Thrombozyten (Blutplättchen), die für die Blutgerinnung notwendig sind.

Dazu kommen zahlreiche andere Probleme wie Bluthochdruck, akutes Nierenversagen und, und, und.  Da die Sterblichkeit von  Mutter und Kind bei dieser Erkrankung sehr hoch ist, muss ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden. Dem Kind geht es gut, doch Frau B.‘s Zustand verschlechtert sich immer weiter – sie wird auf die Intensivstation verlegt. In den Frühbesprechungen müssen wir täglich mitansehen, wie ihre Leberwerte fast bis ins Unermessliche ansteigen. In acht Wochen Hepatologie und 6 Wochen hepatobiliärer Chirurgie habe ich noch nicht so hohe Werte gesehen.Schnell wird klar: Diese Leber ist so schwer geschädigt, dass sie sich nicht mehr erholen wird. Frau B.‘s einzige Chance ist eine Lebertransplantation – und das besser heute als morgen, es zählt jeder Tag.

Vitaly ist 13 Jahre alt, ein ganz normaler Teenager. Doch in den letzten Wochen hat er immer wieder Bauchschmerzen und fühlt sich müde, abgeschlagen und hat auf nichts mehr Lust. Seine Mutter bringt ihn zum Hausarzt, der die obligatorischen Bluttests durchführt, aber nichts Auffälliges feststellen kann. Er verschreibt ihm Ranitidin, ein Mittel gegen Sodbrennen. Kurze Zeit später wird Vitaly in der Notaufnahme eingeliefert – er ist völlig apathisch und seine Haut ist gelb (Ikterus). Im Blut sieht man nun eine drastische Erhöhung der Leberwerte, die Möglichkeit einer medikamentös-toxischen Hepatitis, also eine Entzündung der Leber ausgelöst durch Medikamente, steht im Raum. Ranitidin kann in sehr seltenen Fällen so etwas hervorrufen, doch sicher geklärt werden kann die Ursache für das akute Leberversagen auch nach einer Leberbiopsie nicht. Fest steht: Vitalys Lebergewebe ist irreversibel zerstört, das einzige, was sein Leben retten kann, ist eine Lebertransplantation. Es ist dringend.

Und so warten unsere beiden Patienten auf der Intensivstation darauf, dass irgendwo ein Mensch vor ihnen stirbt. Ein Mensch, der bereit ist, ihnen ein neues Leben zu schenken. Es ist eine unangenehme, merkwürdige Art des Wartens und des Hoffens.

Frau B. erhält schließlich die Leber eines 51-jährigen Mannes, der durch eine Gehirnblutung ums Leben kam. Ihre Transplantation ist die 1000. Lebertransplantation meiner Uniklinik und ich darf nach etwas bitten und betteln sogar assistieren.

Auch Vitaly hat Glück und darf weiterleben. Seine Leber stammt von einem 16 Jahre alten Mädchen, das durch ein Schädel-Hirn-Trauma ums Leben kam. Fahrradunfall? Verkehrsunglück? Wir wissen es nicht. Sie kam aus Deutschland.

Und so schwingt trotz aller Freude über das gerettete Leben des eigenen Patienten auch immer die Trauer um den unbekannten Spender mit. Und eine große Dankbarkeit steht im Raum. Eine Dankbarkeit, die unsere Patienten wohl den Rest ihres Lebens mit sich tragen werden.

Ann Arbor


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Kontrast

Ich betrete das Zimmer 15. Ein Dreibettzimmer. Blutabnahmen stehen an.

Durch die großen Fenster des Zimmers blicke ich nach draußen. Nebenbei ziehe ich meine Spritzen mit Kochsalz auf, um Blut aus den Ports der Patienten im Zimmer abnehmen zu können. Draußen schönster Sommer. Sonne. Wärme. Gemütlichkeit. Auf der Straße tobt das Leben.
Die Schüler der gegenüberliegenden Schule laufen mit ihren Rucksäcken über die Straße, spielen Fangen, rufen und schreien. Haben Spaß und genießen ihr Leben. Ein Bus fährt vorbei. Die Fahrgäste auf dem Weg zum Meeting, zur Arbeit, zu lieben Bekannten und Freunden oder nach Hause. Ein Taxi lädt einen wartenden Patienten des Krankenhauses ein, um ihn nach der Entlassung nach Hause zu bringen. Patienten sitzen auf der Parkbank und genießen die vielleicht letzten warmen Sonnenstrahlen des Sommers. Studenten in weißen Kitteln hetzen über den Hof zu ihrem Seminar. Das Leben tobt und jeder schwimmt in seiner Bahn dahin.

Im Zimmer liegen drei Patienten und warten auf meine Blutabnahme. Keine Spur von Glück. Keine Hoffnung. In ihnen tobt der Krebs, wüten Tumorzellen, übernehmen die Herrschaft über die zerbrechlichen und geschwächten Körper. Ausgemergelt, kraftlos, erschöpft liegen sie da. Jeder der drei weiß, dass es sein letzter Sommer sein wird. Den nächsten Sommer wird der Krebs ihm nicht mehr zugestehen. Vielleicht nicht einmal mehr das nächste Weihnachten. Im Klinikjargon nennt sich die Situation hart „austherapiert“.

Ein Hospizplatz ist beim ersten Patienten bereits angemeldet, eine Familie gibt es nicht. Er wird die letzten Wochen seines kurzen Lebens alleine verbringen müssen – zumindest umsorgt von liebem Pflegerpersonal und Seelsorgern des Hospizes.
Der zweite Patient wird liebevoll von seiner Frau versorgt. Ob sie sich bewusst ist, dass er nicht mehr lange bei ihr sein wird? Ob sie es verdrängt? Wer weiß, wie lange sie verheiratet sind. Hoffentlich genießt sie die letzten Momente mit ihm.
Der dritte Patient ist zum wiederholten Mal in der Klinik. Auch er ausgemergelt und gezeichnet von seinem Krebsleiden. Mehrfach behandelt, eine Stent-„Schiene“ in der Luftröhre, damit er überhaupt noch essen und atmen kann. Wegen seiner Schmerzen benötigt er bereits eine Dauerinfusion mit Morphin. Eine Chemo- oder Strahlentherapie wird ihm nicht mehr helfen, eine Operation kommt aufgrund des fortgeschrittenen, metastasierten und mehrfach rezidivierten Tumors nicht mehr in Frage.

In diesem Zimmer fühle ich mich schlecht. Ich siehe das Leid, ich spüre die Schmerzen beinahe am eigenen Leib. Es wird mir bewusst, dass ich diese Patienten in sechs Monaten wohl nicht mehr sehen werde, weil sie an ihrem Krebsleiden erlegen sein werden. Dieses Wissen macht mich traurig. Und betroffen. Es sind drei nette Patienten, mit denen ich bei der Blutabnahme gerne ein oder zwei saloppe Worte wechseln kann.
Ist es nicht unfair, dass man selbst das Zimmer verlassen kann, die weiße Klinikkleidung und den Kittel ablegt, in seine Klamotten wechselt und in das Leben außerhalb der Klinik und vor dem Fenster entschwindet?

Ich schaue weiter durch die Fenster. In die brodelnde Welt.
In das Glück.
In den Spaß.
In den Lauf der Zeit, Sommer, Herbst, Winter, Frühling.
Ein Jahr kommt und geht.

Irgendwie werden manche Dinge unwichtig und andere dafür um so wichtiger.

Dann ist meine Spritze aufgezogen und ich wende mich dem ersten Patienten zu.

– Orthopaedix