Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Fehlende Kompresse – Teil 2

Orthopaedix hat in seinem Artikel ja schon sehr anschaulich über die Zählrituale im OP-Saal und die auf mysteriöse Weise verschwindenden Kompressen berichtet. In der Regel tauchen alle verlorenen Kompressen wieder auf – nur leider nicht immer dort, wo man es sich wünschen würde. So auch in unserer heutigen OP:

Bei unserem Patienten stand ein großer Eingriff auf dem Plan: ein Aortobifemoraler Bypass. Klingt cool – ist es auch! Ein Bypass ist ein operativ hergestellter Umgehungskreislauf eines verschlossenen Gefäßes. In unserem Patienten sind die Aorta, also die Hauptschlagader des Körpers, und die Darmbeinarterien so verkalkt, dass seine Beine kaum noch mit Blut versorgt werden und er starke Schmerzen hat. Daher soll nun ein Kunststoffrohr eingebracht werden, dass die Aorta direkt mit den großen Arterien des Beines verbindet und so die verkalkten Bereiche umgeht. Hierfür muss zum einen ein sehr großer Bauchschnitt gemacht werden, damit der obere Teil der Prothese an die Aorta angeschlossen werden kann, und außerdem zwei Schnitte in der Leiste, um dort die beiden unteren Teile der Prothese an die Beinarterien anzuschließen.

Aortobifemoraler Bypass

Wir operieren fröhlich vor uns hin, hören Heintje im Radio und freuen uns, dass der Patient viel weniger Blut verliert, als wir eigentlich erwartet hätten. Am Ende der OP sind wir mit dem Ergebnis jedoch nicht ganz zufrieden. Das linke Bein ist nun zwar wieder gut durchblutet und schön rosig, aber das rechte ist immer noch ziemlich weiß. Durch eine Angiographie, also eine Gefäßdarstellung mit Kontrastmittel, soll geklärt werden, ob sich im Bein noch weitere stark verengte Gefäße befinden oder ob es ein Problem mit der Prothese gibt. Hierfür benötigt man allerdings ein Fluoroskop, ein Gerät zur Durchleuchtung, das die Röntgenbilder in Echtzeit wie einen Film auf dem Bildschirm zeigt. Leider sind wir im OP-Saal ohne das fest installierte Fluoroskop und unser mobiles Gerät befindet sich gerade bei den Neurochirurgen, die aus unerklärlichen Gründen für ihre aktuelle OP zwei Fluoroskope benötigen. Während wir also auf das Gerät warten und unsere Oberärztin sich irgendwann bei den Neurochirurgen beschweren geht, nähen wir nebenher den Bauch zu, damit später alles schneller geht. Schließlich soll die Wartezeit nicht ungenutzt bleiben.

Bei der Angiographie zeigt sich schließlich, dass auch die Beinarterien stark verkalkt sind und trotz der Prothese kaum Blut das Bein erreicht. Also verlängert sich unser Eingriff spontan um ein paar Stunden und wir bauen mit einer Beinvene des Patienten auch noch einen Bypass um die verkalkten Beinarterien herum.

Am Ende hat der Patient drei Schnitte am rechten Bein, einen in jeder Leiste und den großen Bauchschnitt, den wir zum Glück schon versorgt haben. Während wir mit dem Zunähen der Beine beginnen, zählt der OP-Pfleger die Kompressen. Eine grüne Bauchkompresse fehlt. Davon lassen wir uns zunächst nicht beeindrucken und nähen weiter die Schnitte am Bein zu – die wird schon wieder auftauchen. Doch irgendwann wird die Suche hektischer, Mülleimer werden zum dritten Mal kontrolliert, Beistelltische verschoben und Trittbänke angehoben. Alles ohne Erfolg, die Kompresse bleibt unauffindbar.

„In der Leiste kann sie nicht sein. Es bleibt eigentlich nur der Bauch. Aber das kann ja eigentlich nicht sein. Wir haben doch die Kompressen gezählt, bevor wir den Bauch verschlossen haben…“ „Sag mal, was ist mit der Kompresse, die wir unter die Milz gelegt haben. Haben wir die wieder entfernt.“ „Ich weiß es nicht.“ „Himmel ich auch nicht, aber wir haben doch gezählt, oder? Oder nicht?“

Über diese Frage herrscht Uneinigkeit im Raum. Während der Bauch verschlossen wurde, waren die meisten mit dem dringend benötigten Fluoroskop und den unfähigen Neurochirurgen beschäftigt. Außerdem wird der Bauch in der Regel erst am Ende der OP verschlossen, wo das Zählen ein festes Ritual ist, und nicht wie heute mitten während des Eingriffs. Wurde vielleicht wirklich nicht gezählt? Mit dem Fluoroskop wird eine Röntgenaufnahme des Bauches gemacht und siehe da – im linken Oberbauch befindet sich tatsächlich noch eine Kompresse. Ein Teil des Bauchschnittes wird schnell wieder eröffnet – zum Glück haben wir keine fortlaufende Naht gemacht, sonst hätte man den kompletten Schnitt eröffnen müssen. Die Ärztin wühlt mit ihrer Hand im Bauchraum und zieht endlich glücklich die vermisste Kompresse ans Tageslicht. Alle sind erleichtert. Wäre die verlorene Kompresse erst auf der nächsten Röntgenaufnahme der Lunge des Patienten wiederentdeckt worden, wäre das sehr peinlich und unangenehm gewesen. Manche Rituale haben eben zu Recht einen festen Platz im OP-Verlauf.

Ann Arbor


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Kompresse?

Im OP liegt es in der Verantwortung und Zuständigkeitsbereich der anreichenden OTA (OperationstechnischeR AssistentIn) am Ende einer jeden OP genau so viele Kompressen, Bauchtücher, Nadeln für Fäden, Klammern, Haken etc wieder auf ihren Tischen zu haben, wie sie vor der OP gestartet war. Deswegen sind die meisten OTAs sehr darauf bedacht, möglichst oft genug alles penibel nachzuzählen, zu sortieren, zu ordnen und im Blick zu haben (ich würde ja gerne mal eine private Wohnung einer OTA sehen und ob dort auch so tolle Ordnung herrscht, selbst wenn ein furioser Chirurg sie ins schwitzen bringt).

Ab und zu dachte ich mir gegen Ende der OPs, dass man es mit dem Nachzählen auch übertreiben kann – es gilt das Vieraugenprinzip und deswegen schaut eine nicht sterile OTA (sog. Springer) auch nochmal alles durch.

Es entsteht gegen Ende der OP folgende Situation:

(c) fr-online.de

Der Springer hängt alle Kompressen und Tücher, die aus dem OP-Gebiet kommen und verbraucht sind schön säuberlich über den „Müll“ auf, damit die sterile OTA aus der Ferne zählen kann, wie viele Tücher sie dort hängen sieht. Die OTA am Tisch beginnt zu zählen und reicht nebenbei weiterhin Instrumente an die Chirurgen und die operierende Meute. Sie muss sowohl verbrauchte, als auch aktuell am Tisch befindliche, als auch noch unverbrauchte Kompressen (gleiches gilt u.a. auch für die Nadeln) mitzählen. Am Ende muss sie auf eine Zahl kommen, die derjenigen entspricht, die der anreichende Springer notierte, als er alles ins sterile Feld anreichte. Danach zählt der Springer nochmals alles nach bzw. schaut gleichzeitig beim Zählen mit drauf und bestätigt das korrekte Zählen. Diese Prozedur wiederholt sich mindestens zweifach, gerne auch mal drei, vier, fünf…. die OP dauert ja noch, also kann man doch mal zählen. Ab und an fehlt beim ersten Zählen eine Kompresse, die sich einer der schneidenden Vermummten heimlich stibitzt und noch nicht wieder herausgerückt hat. Meist aber klärt sich diese ausgebüchste Kompresse schnell auf und alle sind glücklich.

Wenn aber zu oft gezählt wird, wundert es nicht, dass da manchmal ein  schnippischer Kommentar von den Vermummten kommt, ob das Zählen denn nicht bis nachher warten könne und man jetzt sein Instrument angereicht bekommen könne. Übertrieben vorsichtig, was? Falsch gedacht!

Denn neulich,  Weiterlesen