Ann Arbor hat vor einiger Zeit einen packenden Artikel zur „Hölle im OP.“ geschrieben. Keine Woche, nachdem ihr Artikel veröffentlicht wurde, erlebte ich ein Déjà-vu des geschilderten Falles. Aber das Ende unterschied sich – zum Glück. Was war geschehen?
Frau B. hatte bereits einen langen Leidensweg hinter sich. Vor vielen Jahren wohl mit Hepatitis C infiziert, nachdem sie verseuchte Blutkonserven erhalten musste, als ihr damaliger Mann sie in häuslicher Gewalt niedergeprügelt hatte. Vor einigen Jahren dann die Diagnose eines Darmkrebs, der operativ entfernt worden war – gleichzeitig erfolgte die Anlage eines künstlichen Darmausgangs. Im Anschluss an die OP erhielt Frau B. im letzten Jahr dann eine ausgedehnte Chemotherapie, weil der Tumor bereits so groß war, dass mit alleiniger Operation keine Heilung möglich war.
Nun waren bei einer Routine-Kontrolle plötzlich auf beiden Seiten der Lunge Raumforderungen, die sehr verdächtig auf Metastasen waren, aufgetreten. Im sog. Tumorboard, in dem Onkologen, Chirurgen, Strahlentherapeuten und Radiologen gemeinsam über das Vorgehen bei Tumorpatienten beraten, waren die Chirurgen gebeten worden die Metastasen zu entfernen. Die Chance, ihr Überleben damit zu verbessern, lag zwar nur bei 20%, aber Frau B. war eine Kämpferin und sie wollte diese Chance wagen.
Und damit lag Frau B. an diesem Morgen als zweiter Punkt auf unserem OP-Tisch. Geplant war zunächst eine Schlüsselloch-OP auf der rechten Seite, kleine Zugänge und mittels Kamera und langem skapellartigen Gerät die rechte Metastase mitsamt einem kleinen Teil der Lunge zu entfernen. Das nennt sich dann Wedge-Resektion. Im Anschluss sollte eine Umlagerung erfolgen, damit die Patientin an der linken Seite offen operiert werden konnte und auch dort die drei verdächtigen Punkte aus der Lunge geschnitten werden konnten.
Ich hatte mich, nachdem ich von der OP-Leitstelle angefunkt worden war, für den OP umgezogen, steril eingewaschen und stand bereit für Teil 1 – die sog. Thorakoskopie (Thorax = Brustkorb, skopie = schauen) mit Wedge-Resektion. Unser Chef betrat den OP-Saal und noch bevor ich sterile Klamotten und Handschuhe angezogen bekommen konnte, meinte er, ich könne erst noch entspannen, denn mich brauchen sie erst beim zweiten Teil – also nach der Umlagerung auf die Gegenseite. Ich konnte also noch 30 min verschnaufen, beim Umlagern helfen und zusehen, wie genau die Lagerungspfleger alles nach eventuell entstehenden Druckstellen absuchten und musste mich dann erneut einwaschen und steril anziehen lassen.
Der Schnitt entlang des Oberrandes einer Rippe auf der linken Seite war nicht allzu groß, die Lunge schnell erreicht und im Hintergrund das schlagende Herz in seinem Beutel tast- und sichtbar. Faszinierend, wenn man mit dem Finger auf dem Herzen fühlt, wie es sich mit dem Piep der Anästhesie gleichzeitig kontrahiert und damit das Blut in Schwung hält. Für die Anästhesie stellt eine OP am Brustkorb und den Lungen immer eine besondere Herausforderung dar, weil die Beatmung der entsprechenden Seite der Lunge für die Zeit des Eingriffs heruntergefahren muss, damit sich die Lunge nicht aufbläht und man sie wie ein zusammengefallenen Luftballon mobilisieren und bearbeiten kann. Deswegen werden sog. doppellumige Intubationsschläuche verwendet – für jede Lungenseite ein „Lumen“, also zwei „Rohre“, die man getrennt voneinander an- oder abschalten kann. Anästhesie plus.
Wir identifizierten relativ rasch zwei der drei verdächtigen Knötchen, schnitten sie auch minimal heraus…. aber fanden den dritten nicht. Er war zu tief, zu wenig tastbar und zu versteckt in der Lunge. Deswegen entschied sich der Chef nach einigem Suchen dafür den Unterlappen der linken Lune komplett herauszuschneiden. Sicher ist sicher und ein Mensch kann auch nur mit einem Oberlappen überleben (sogar nur mir einer Lungenhälfte). Wir setzten also nach und nach die Gefäße ab, durchtrennten die zuführenden Atemwege und hielten dann den Lungenflügel bald in den Händen. Beim letzten Schnitt des Atemweges plötzlich starke Blutung – Hektik kommt auf, der Chef hatte wohl eine Arterie übersehen und diese vorher nicht verschlossen gehabt. Weiterlesen