Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Frau Grün hat es nicht anders gewollt

Seit einer Woche wippt der Chef jeden Morgen nervös mit dem Fuß, wenn in der Frühbesprechung mal wieder der Name „Grün“ fällt. Heute Morgen ist er es selbst, der das Thema auf den Tisch bringt und jetzt ist es schon das ganze Bein, der unter dem Tisch nervös wackelt.
„Die Polizei war gestern Abend im Haus und hat die Akten beschlagnahmt. Frau Grün hat Anzeige erstattet. Ich würde Sie bitten den Entlassbrief noch heute fertig zu machen. Eine Kopie der Akte liegt noch im Sekretariat. Wenn sich die Presse an Sie wenden sollte, verweisen Sie sie bitte an die Klinikleitung. Keine Statements von niemandem.“
Das schlägt ein wie eine Bombe. Unsere Assistenzärztin Oxana wird blass. Alle anderen sind auf einmal ganz still. Als sich 10 Minuten später die Frühbesprechung auflöst, diskutieren sie dann umso lauter. Dabei haben wir ja schon fast damit gerechnet, dass es so enden wird. Was war passiert?

Frau Grün ist einer 32jährige Erstgebärende, die 15 Tage über Termin endlich mit Wehen zu uns kam. Sie brachte ihre eigene Hebamme mit, die zum Belegteam Unseres Kleinen Kreissaals zählt und die Geburt betreute. Die diensthabende Oxana untersuchte sie bei Aufnahme (unreifer Befund) und zeichnete ein mäßig schönes CTG ab. Dann wurde sie erst 4 Stunden später wieder dazu gerufen, als der Befund vollständig war. Ein CTG war in der Zwischenzeit nicht geschrieben worden. Die in den folgenden 20 Minuten aufgezeichneten Herztöne wurden zunehmend schlechter und Oxana rief den Hintergrund dazu. Frau Grün wehrte sich heftig gegen alle medizinischen Maßnahmen, Medikamente oder gar einen Kaiserschnitt. Gerade als man sich aus kindlicher Indikation trotzdem dazu entschlossen hatte in den OP zu fahren, stabilisierte sich die kindliche Frequenz wieder um die 120 bpm. Die Geburt schritt trotzdem nicht voran. 10 Minuten später stand der Kopf immer noch unverändert auf Beckenmitte und Oxana entschied sich die Saugglocke zu holen. Als sie mit der nächsten Wehe zieht, nimmt das Unglück seinen Lauf. Weiterlesen


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Neulich im Dienst – Teil 3

1:45
Wir haben Frau Frise samt Anhang mit Schmerzmitteln nach hause geschickt. Immerhin die Mutter der zukünftigen Mutter war vernünftig genug und hat es übernommen ihrer Tochter gut zuzureden.
Jetzt sitzen wir schon seit fast 15 Minuten bei Frau Sonnentaler und blicken kritisch auf das CTG. Es ist nicht schön, aber auch nicht wirklich hässlich. Die kindlichen Herztöne sind einfach ein bisschen zu ruhig, eingeengt würde man sagen. Engelchen runzelt die Stirn. Ich sehe es richtig dahinter arbeiten. Soll sie den Oberarzt im Hintergrund anrufen? Das Problem ist, dass wir nicht viel tun können, so lange sich Frau Sonnentaler jeglicher Therapie verweigert und der Muttermundsbefund weiterhin unreif ist. Wie unreif wissen wir nicht, weil die vaginale Untersuchung auch unter unerlaubte Einmischung fällt. Jetzt sitzen wir also hier und hüten das CTG bis es so schlecht wird, dass wir keine mütterliche Einwilligung mehr zum Handeln brauchen, weil das Wohl des Kindes Vorrang hat. Schönen Dank auch.

2:15
Engelchen hat ein Einsehen mit mir und meinen müden Augen und verordnet uns beiden ein bisschen Nachtruhe. Und dann muss ich tatsächlich noch fast auf der Straße schlafen. Wir haben ein PJ-Dienstzimmer mit zwei Betten und eine Doodle-Liste, um die Dienste entsprechend zu koordinieren. Aber heute hat sich noch ein Famulant dazugemogelt, der auch einmal einen Dienst machen möchte und plötzlich sind wir 3 Leute für 2 Betten. Zum Glück schläft die Laborassistentin daheim und die Dame an der Pforte war so nett ihr Zimmer an den Famulanten zu vermieten. Während die andere PJlerin, die Dienst auf der Inneren macht, bereits seit 10 Uhr selig schläft und auch nicht vor hat vor 7 Uhr wieder aufzustehen, wird es für mich nur ein kurzes Zwischenspiel in den Federn.

5:15
Das Telefon klingelt. Es dauert eine ganze Weile, bis ich weiß auf welchem Planeten ich bin und den Lichtschalter finde. Engelchen meint, es könne ganz interessant sein mal wieder in den Kreissaal zu kommen. Frau Sonnentaler steht kurz vor der Geburt. Also wieder in die Klamotten und zurück über den Hof.
Im spärlich beleuchteten Gebärzimmer ist es gar nicht so einfach nicht direkt wieder einzuschlafen. So kurz vor Geburt sind wir nämlich noch gar nicht. Das Köpfchen lässt sich in der Wehe gerade so erahnen. Und lange Zeit passiert nichts außer wilden Anweisungen zum Pressen. Ich habe eindeutig Unterzucker, Hunger, Durst und Schlafmangel und frage mich, wie Engelchen das durchhält, die schon über eine Stunde früher wieder zu Klingler gerufen wurde um eine PDA zu genehmigen. Aber sie hat voller Konzentration die Augen auf dem CTG. Das wird kaum merklich, aber stetig schlechter. Weiterlesen


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Neulich im Dienst – Teil 2

20:35
Mitten im Nähen holt mich Ludmilla aus dem Zimmer. Sie macht sich große Sorgen um Frau Sonnentaler, die inzwischen Wehen im Minutentakt hat. Ihrem Kind scheint das überhaupt nicht zu gefallen. Bei jeder Wehe, die das CTG aufzeichnet, rutschen die kindlichen Herztöne in den Keller. Immerhin zeigen sie danach eine rasche Erholung, sonst würde jetzt Engelchen das Zimmer betreten und nicht ich.
Frau Sonnentaler ist für uns ein schwieriger Fall. Sie ist inzwischen 15 Tage über den Entbindungstermin hinaus. Erst vor zwei Tagen hat sie uns erlaubt mit der Einleitung zu beginnen. Das ist fast eine Woche später, als wir das normalerweise tun würden. Aber sie möchte vor allem anderen eine natürliche Geburt. Am liebsten gar keine Medikamente und so wenig Diagnostik wie möglich. Das Zimmer, das ich betrete wird nur von einer Salzkristallleuchte erhellt. Frau Sonnentaler kniet auf dem Boden, die Arme um ihren Mann geschlungen und veratmet eine Wehe. Jetzt ist es also an mir und der Hebamme sie von der Notwendigkeit zu überzeugen ihr einen Zugang zu legen. Einfach zur Sicherheit, damit wir schnell eingreifen können, wenn das Kind sich nicht mehr so gut erholt. Frau Sonnentaler selbst scheint der Idee einer Wehenhemmung gar nicht mehr so abgeneigt. Die Wehen im Minutentakt machen sie offenbar ganz schön fertig. Aber ihr Mann ist schwer dagegen. Am Ende zieht das Argument, dass es um das Wohl des Kindes geht: Also lege ich im Halbdunkel eine Nadel, während die Patientin mittendrin aufsteht um eine weitere Wehe zu veratmen. Ludmilla schüttelt nur den Kopf als sie das Zimmer verlässt.

20:50
Mein Magen knurrt. Um mir am Buffet schnell etwas zu essen zu holen, war in dem ganzen Trubel natürlich keine Zeit. Ich hätte es mir eigentlich denken können. Jetzt muss ich die Nacht mit einer Brezel und ein paar Trauben überleben. Bevor ich mich jedoch wenigstens darauf stürzen kann, ist Engelchen mit dem Nähen fertig und es geht geradewegs wieder zurück in die Höhle von Frau Sonnentaler. Die findet ihre Wehen jetzt plötzlich doch nicht mehr so schlimm und verzichtet lieber auf die Wehenhemmung. Also kann Hebamme Bernadette ihren Nachtdienst gleich einmal damit beginnen Frau Sonnentaler und das CTG im Auge zu behalten um bei größeren Problemen Alarm zu schlagen.
Engelchen und ich kümmern uns derweil endlich um die Aufnahme von Frau Klingler. Es ist das erste Mal, dass ich eine Schwangere vaginal untersuche und leider bleibt der Aha- Effekt aus. Wenn man nicht so genau weiß, was man eigentlich tasten soll, ist es gar nicht so einfach sich zurecht zu finden. Dafür fühle ich mich mit dem Ultraschall schon fast wie ein Profi. Und taste vorher sogar endlich mal den Rücken des Kindes auf der richtige Seite. Frau Klingler ist ganz entspannt und hat kein Anliegen außer vielleicht ein bisschen zu schlafen. Ihr Mann ist da deutlich unentspannter. Er ist Krankenpfleger auf der Herzintensivstation im großen Herzzentrum unserer Region, wie er uns in einem Atemzug mit seinem Namen mitteilt. Und er ist ganz aufgeregt vor Angst. Offenbar kommt er nicht damit klar, dass er nichts tun kann und nicht so genau weiß, was vor sich geht. Vielleicht hat seine Frau einen beruhigenden Einfluss auf ihn. Die verdreht allerdings ziemlich genervt die Augen, als er uns zum Abschied noch mit auf den Weg gibt: „Müssen sie denn meiner Frau auch einen Zugang legen? Ich sage Ihnen gleich, sie hat ganz schlimme Rollvenen. Da sind schon viele dran gescheitert.“ Engelchen meint leise: „Besser Rollvenen als gar keine Venen.“  Und zieht die Tür hinter uns zu.

22:15
Wir haben noch eine weitere Geburtsverletzung genäht und sind jetzt bei Frau Schnell. Sie möchte eigentlich gerne sofort wieder nach hause. Das ist grundsätzlich kein Problem, wir haben immer wieder Frauen, die ambulant entbinden. Aber bei Frau Schnell wurden in der Schwangerschaft Bakterien in der Scheide festgestellt. Das birgt natürlich die Gefahr, dass ich das Kind ansteckt. Deshalb würden wir es gerne über Nacht beobachten. Familie Schnell lässt sich nicht überzeugen und geht nach eindringlichen Hinweisen, auf Warnzeichen, wie schnelle Atmung oder Unruhe des Kindes zu achten.

23:00
Die erste wirklich große Aufregung der Nacht Weiterlesen