Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..


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Wachstumslenkung – begeisternde Technik

Heute möchte ich euch von einer Operation berichten, bei der ich vor einiger Zeit zusehen konnte. Die Patientin, die vom Wirbelsäulenteam operiert werden sollte, war 10 Jahre alt, ungewöhnlich, dass in diesem Alter bereits Operationen an der Wirbelsäule durchgeführt würden – und doch, es gibt ein paar Indikationen, die eine solche OP nötig machen, u.a. eine extreme Skoliose. Skoliose bedeutet eine Seitabweichung und Verdrehung der Wirbelkörper und damit einhergehende typische Zeichen wie Schulterschiefstand, unterschiedlich große Taillendreiecke zwischen Taille/Arme/Rumpf sowie einem Rippenbuckel beim Vornüberbeugen. Ursachen und Therapie der Skoliose möchte ich in diesem Eintrag nicht weiter ausführen, es gibt zahlreiche Gründe, bei unserer kleinen Patientin war es das sog. „Noonan-Syndrom„. Dies ist ein Syndrom, das auch als „Pseudo-Ulrich-Turner-Syndrom“ bekannt ist (weil es im Gegensatz zum Turner-Syndrom keine Besonderheiten bei den Chromosomen aufweist, aber ähnliche Symptome zeigt). Im Rahmen dieses Syndrom kommt es bei den Betroffenen zu diversen Fehlbildungen innerer Organe (u.a. Herzfehlern), zu einem typischen äußeren Aussehen und eben auch zu Skoliosen.

präoperatives Radioorthogramm der Wirbelsäule der Patientin mit sichtbarer Skoliosenkrümmung im Brustwirbelsäulenbereich

Unsere Patientin wurde im Kinderspital untersucht und mit den Eltern wurde bei einem großen Ausmaß der Skoliose die Therapie diskutiert. Man kann bei geringem Ausmaß eine Korsettbehandlung versuchen, die bei unserer Patientin aber keinen Erfolg brachte (vielmehr verschlimmerte sich die Verbiegung zunehmend), sodass man schließlich bei einem sog. Cobb-Winkel für 67° zur operativen Therapie überging. Der Cobb-Winkel ist ein Maß, das angewandt wird, um die Ausmaße der Seitverbiegung objektiv zu machen und messbar zu machen – dazu fertigt man ein Röntgenbild der Wirbelsäule an und misst dann am sog. Neutralwirbel ober- und unterhalb der Biegung deren Winkel zueinander. Je nach Cobb-Winkel kann man dann eine Therapie mit entsprechender Erfolgsaussicht wählen.

Das Problem und gleichzeitig die Indikation zur OP bei unserer Patientin war neben der ästhetischen Seite, dass Skoliosen in solchem Ausmaß oft zu Schmerzen führen können, schneller Abnutzung der Wirbelkörper und Bandscheiben nach sich ziehen und, da sie im Wachstumsalter auftreten, das Wachstum von Brustkorb und Lungenvolumen beeinträchtigen. Deswegen entschied man sich zur OP.

Da eine solche OP nicht sehr häufig durchgeführt wird, wollte ich sie mir unbedingt ansehen und gesellte  mich als Zuschauer in den Saal – auch wenn ich gar nicht mehr im Wirbelsäulenteam war, sondern inzwischen zu den Schulterspezialisten rotiert war.

In dieser OP wurde der wahre Wortsinn des Fachgebietes „Orthopädie“ umgesetzt:

Die Bezeichnung Orthopädie wurde 1741 von Nicolas Andry de Boisregard, einem Kinderarzt in Paris, erstmals verwendet. Das Wort setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen, und zwar „orthos“ (gerade) und „paidion“ (das Kind), bedeutet also etwa so viel wie „Kinder gerade machen“. Andry hat in seinem Werk „L’orthopédie ou l’art de prévenir et de corriger dans les enfants, les difformités du corps“ vor allem die Vermeidung von Spätfolgen nach Haltungsschäden von Kindern im Auge gehabt und empfahl Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Beine durch Schienen zu korrigieren. Dieser Vorschlag war revolutionär, denn bis dahin galten „Verkrüppelungen“ gottgegeben und kaum beeinflussbar. 

Quelle: wikipedia

Mit ein wenig Verzögerung durch die Anästhesie begann der Eingriff, ungewohnt kleine Patientin, der OP-Tisch sehr groß, eigentlich ist man das anders gewohnt. Im Saal neben den Operateuren ein Team zum sog. Neuromonitoring, d.h. zur Kontrolle, ob mit den Schrauben, die am Rücken eingebracht werden würden, nicht auch Rückenmark oder Nerven verletzt würden. Dazu werden Elektroden an definierten Messpunkten am Körper angebracht und immer wieder stimuliert und die Laufzeiten der Stromstöße gemessen. Zusätzlich wird nach Einbringen der Schrauben ausgehend von deren Köpfen die Laufzeit bis zu den peripher gelegenen Elektroden gemessen und kontrolliert, dass keine Schraube auf einen Nerv drückt oder verletzten kann. Das Neuromonitoring-Team wurde durch zwei Vertreter der Herstellerfirma ergänzt, zwei weitere Vertreter waren im Saal, um beim Einbau der „revolutionären“ „Stange“ beizustehen. Immerhin war dies erst die dritte OP in der Schweiz, die auf diese Art mit diesem Modell durchgeführt wurde. Weltweit sind 350 Modelle mit sehr gutem Erfolg verbaut worden (das hat mir alles der Firmenvertreter erzählt, nachdem er mich beim Fotografieren der „Stange“ erwischte und skeptisch fragte, für welche Firma oder Klinik ich arbeiten würde und ich ihn darüber aufklärte, dass ich nur interessierter Student sei und ich de Fotos meinen Kollegen zeigen wollte, weil die OP so faszinierend sei)!  Weiterlesen