Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..

Frau Breit hat so viel Hoffnung

2 Kommentare

An Frau Breits Infusionsständer hängt ein großer, lila farbener Adventskalender. Jeden Nachmittag wird ein neues Türchen von ihren Kindern geöffnet, wenn sie zu Besuch kommen. Der Kleinste kann gar nicht weit genug nach oben greifen, er ist erst 6 Jahre alt. Aber Frau Breit selber hat keine Lust auf Schokolade.

Bevor wir sie bei uns auf der Chirurgie aufgenommen haben, war sie bereits 2 Wochen in der Abteilung für Innere Medizin in Unserer Kleinen Klinik in Behandlung. Matt und abgeschlagen fühlte sie sich seit einigen Wochen. Der Appetit war nicht mehr da und auch mit der Verdauung klappte es nicht so recht. Immer wieder hatte sie Durchfälle. In die Klinik ging sie, als ihr Augen eines Morgens beim Blick in den Spiegel so seltsam gelb waren.

In der Inneren hat man sich 2 Wochen Zeit gelassen um sie von Kopf bis Fuß zu untersuchen. Der immer stärker werdende Ikterus gab die Richtung vor. Irgendetwas mit der Galle. Schmerzen im rechten Oberbauch hatte sie nie gehabt, Gallensteine sind nicht bekannt. Im Labor zeigte sich wie erwartet ein deutlich erhöhtes Bilirubin. Der Ultraschallbefund ergibt keinen eindeutigen Hinweis. Also ist der nächste Schritt eine ERCP zur Darstellung des offensichtlich irgendwie behinderten Galleabflussweges. Die erste Untersuchung ist nicht erfolgreich. Eine Darstellung der Gallengänge gelingt nicht und eine Probenentnahme ebensowenig.

In den Akten steht, dass zu diesem Zeitpunkt jemand die Diagnose einer IgG4-Autoimmunhepatitis stellte. Offenbar war das jedoch nicht nur mir zu abgefahren und so unternahm man einen zweiten Versuch einer ERCP. Dieses Mal stellen sich die Gallengänge und der Pankreasgang dar. Sie sind aufgestaut und kurz vor ihrer Einmündung in den Dünndarm bricht das Kontrastmittel fast vollständig ab. An dieser Stelle wird eine Probe entnommen. Die Pathologie sagt: „Chronisch entzündliche Veränderungen. Zu wenig Material für einen sicherern Tumorausschluss.“

Heißt: Nichts Genaues weiß man nicht. Also wird eine OP geplant um die Raumforderung zu entnehmen, die beide Ausführungsgänge einengt. Und ohne eindeutige pathologische Diagnose plant man mit der größtmöglichen Sicherheit, so als würde es sich um einen Tumor handeln. Bis dieses Wort fällt sitzt uns Frau Breit in der Aufklärung aufrecht und interessiert gegenüber. Doch dann bröckelt die Fassade. Sie hat Tränen in den Augen, als sie mit einer Unterschrift ihr Einverständnis gibt. „Ich habe solche Angst.“ „Das ist ganz normal,“ sagt der Facharzt der die Aufklärung macht. Er ist ein absolutes Goldstück und wunderbar im Umgang mit den Patienten. Aber in diesem Moment ist auch er einfach nur überfordert.

Am nächsten Morgen sind wahrscheinlich nicht nur meine Gedanken bei Frau Breit, als sie in den OP gerufen wird. Es ist wahrscheinlich unprofessionell, aber manche Patienten gehen einem einfach besonders nahe. Und für Frau Breit haben wir alle die Daumen gedrückt. Und jeder hat ein bisschen erleichtert gelächelt, als aus dem OP durchdringt, dass in beiden intraoperativen Schnellschnitten nur Entzündung zu sehen war.

Frau Breit selbst erfährt dies noch am ersten Tag nach der OP auf der Intensivstation. Und als sie am nächsten Tag bereits wieder auf Normalstation verlegt wird, sind wir alle erstaunt, wie unglaublich gut sie es macht. Als ich das erste Mal den Infusionsständer mit dem Adventskalender am Stützpunkt vorbei fahren sehe, kann ich kaum glauben, dass er die einzige Stütze ist, mit der sie sich sich selbstständig über den Flur bewegt. Als ich am nächsten Morgen zum Blutabnehmen komme, sitzt sie bereits angezogen am Tisch. Auf die Frage, wie es ihr geht, erwiedert sie strahlend: „Sehr gut.“

„Wissen Sie, das waren jetzt so gute Ergebnisse im Schnellschnitt. Ich glaube einfach daran, dass es dabei bleibt,“ sagt sie bei Visite zu Nanni, unserem Oberarzt. Der sieht sie ernst an und warnt, dass niemand das Ergebnis der Pathologie vorher sagen könne. Aber sie lächelt nur und wir warten alle auf den Befund.Es dauert am Ende 4 Tage, bis er da ist und ich stehe im OP, als Dr. Goldstück ihr am späten Nachmittag das Ergebnis mitteilt. Im Präparat befindet sich ein Pankreastumor. Die gute Nachricht: Ein sehr frühes Stadium. Die Lymphknoten sind nicht befallen.

Als ich am nächsten Morgen auf Station komme, verlässt der Graf gerade Frau Breits Zimmer und murmelt etwas davon, wie sehr er doch wehleidige Patienten hasst. Ich frage nicht nach, sondern gehe mir selbst ein Bild machen. Frau Breit liegt noch im Bett. Sie habe Bauchschmerzen sagt sie und ihr sei schon die ganze Nacht übel. Das Blutabnehmen lässt sie über sich ergehen. Der ganze Elan ist verschwunden. Jetzt sieht sie aus, wie ich das am zweiten Tag nach OP erwartet hätte. Im Laufe des Vormittags erbricht sie.

Um sicher zu gehen, dass man nichts übersieht wird verschiedene Diagnostik zum Ausschluss einer Nahtundichtigkeit gemacht. Alle Ergebnisse sind negativ. Körperlich gibt es keinen Grund für ihre plötzliche „Wehleidigkeit“. So bleibt sie zur Überwachung erst einmal auf der Intensivstation. Der Adventskalender wird an diesem Nachmittag nicht geöffnet.

Als ich nach Weihnachten wieder komme, ist sie weg. Trotz des frühen Stadiums wird sie eine Chemotherapie erhalten um ihr so viel Chancen wie möglich zu eröffnen. In ihrem Zimmer liegt jetzt eine Frau, die zwei Jahre zuvor die gleiche OP hinter sich gebracht hat. Jetzt kommt sie zur Restpankreatektomie bei Rezidiv. Eigentlich will ich das Zimmer gar nicht mehr betreten.

– Spekulantin

Autor: Spekulantin

Die kochen alle nur mit Wasser

2 Kommentare zu “Frau Breit hat so viel Hoffnung

  1. Diesen Alltag würde ich einfach nicht durchhalten. Hut ab vor jedem, der für die Patienten da ist.
    (Der Graf is’n A***!)

    • Ich finde es im Moment unglaublich schwierig mit solchen Situationen umzugehen. Man sagt sich ja immer: Ich werde in meinem Beruf nicht abstumpfen. Aber ganz ehrlich, manchmal wünsche ich mir, ein bisschen abgestumpft zu sein.
      Drüber schreiben hilft.

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