Arzt an Bord

Zu Risiken und Nebenwirkungen…..

Eine Woche in Altrosa

7 Kommentare

Es hat tatsächlich geklappt! Nach wochenlangem Organisationsaufwand konnte ich eine Woche im Kreissaal bei den Hebammen hospitieren. Zum ersten Mal seit dem Pflegepraktikum habe ich wieder Schichtdienst gearbeitet und hatte endlich mal wieder Zeit für die Betreuung der Patientinnen.

Und es fing auch gleich super an. Montag früh in der Übergabe bekam ich einen altrosa Kittel und wurde einer jungen Hebamme zugeteilt, die an diesem Tag wahrscheinlich mehr Teaching mit mir gemacht hat, als das gesamte Ärzteteam in den 2 Monaten zuvor. Ich habe meinen ersten Katheter gelegt, meine erste frischgebackene Mutter auf Station übergeben und nebenher unglaublich viel über die Versorgung von Mutter und Kind nach der Geburt gelernt. Und es ist wirklich wahr, dass ich die Geburtshilfe aus einer ganz anderen Perspektive erlebt habe.

Das fängt schon damit an, dass wir nach der Übergabe in den Kreissaal gegangen sind um uns vorzustellen und ich ab diesem Zeitpunkt den Kreissaal nicht mehr verlassen habe. Ich habe viel über Frau Sanft erfahren, die dort unter Geburt lag. Sie hat von ihren beiden großen Jungs erzählt, von ihrem Haus, davon wie es nach der Geburt weiter gehen soll. Natürlich hat man immer wieder einen Blick auf das CTG geworfen, aber der Mensch da auf dem Kreisbett stand einfach viel mehr im Vordergrund. Leider ging es nicht so voran, wie ich ihr das gewünscht hätte. Frau Sanft war bereits seit dem vergangenen Abend mit regelmäßigen Wehen im Kreissaal und hatte auch über Nacht gut eröffnet. Aber seitdem war der Kopf des Kindes nicht tiefer getreten. Man merkte ihr deutlich an, wie erschöpft sie inzwischen war. Trotzdem folgte sie ohne zu murren den Anweisungen zur Wechsellagerung um so das Kind vielleicht ins Becken zu schaukeln.

Und dann wurde es plötzlich hektisch. Innerhalb von einer halben Stunde sammelten sich 2 Assistenzärztinnen und eine Oberärztin im Kreissaal. Jeder bestand darauf vaginal zu untersuchen um sich selbst ein Bild zu machen. Ich stellte meinen Stuhl ganz ans Kopfende des Bettes um ein bisschen aus dem Getümmel zu entfliehen. Ganz offenbar machte man sich Sorgen und darüber wurde auch fleißig diskutiert – irgendwo zwischen den Beinen von Frau Sanft. Und als Francesca dann plötzlich von dort auftauchte und verkündete, dass man schnell eine Sectio machen würde, war ich fast genauso überrascht, wie die werdende Mutter. Klar, das CTG war nicht schön und es zeigte sich kein Fortschritt der Geburt. Und am Ende war es auch sicher die richtige Entscheidung. Die Kleine schwamm in dick grünem Fruchtwasser, die Nabelschnur zweimal um den Hals und einmal um die Schulter gewickelt. Natürlich wäre eine vaginale Geburt so nicht möglich gewesen, schon die Entwicklung beim Kaiserschnitt war schwierig.

Aber das ist gar nicht der Punkt. Wenn man nicht in die Überlegungen und Abwägungen auf ärztlicher Seite direkt eingebunden ist, dann funktioniert der Informationsfluss einfach unglaublich schlecht. Und ich habe an diesem Tag zum ersten Mal erlebt, wie man sich als Patient wohl fühlen muss, wenn Entscheidungen ohne einen getroffen werden und man noch nicht einmal weiß wieso. Natürlich will man eine Frau unter Geburt möglichst wenig mit Problemen belasten und ich finde es auch richtig, ihr nicht jede schlechte Entwicklung des CTGs gleich mitzuteilen. Sie ist schon genug Stress ausgesetzt und braucht sich nicht auch noch große Sorgen um ihr Kind machen zu müssen. Aber spätestens, wenn ich anfange über eine Saugglocke, einen Wehentropf oder einen Kaiserschnitt ernsthaft nachzudenken, wäre es fair, der Frau das zu sagen und vor allem zu erklären warum. Damit sie ein bisschen Zeit hat, sich vorzubereiten und nicht völlig mit einem Kurswechsel überfahren wird, den sie gar nicht nachvollziehen kann. Denn so kam mir das vor; wie aus heiterem Himmel. Und wenn es am Ende doch ohne alles geht, ist sicher keiner böse.
Es ist eine Gratwanderung den richtigen Moment dafür zu finden, das ist mir schon klar. Ich habe es ja auch von beiden Seiten inzwischen erlebt. Und so habe ich mir zumindest vorgenommen, die Frau fest im Kopf zu behalten, wenn es wieder mal hektisch im Kreissaal wird. Mal sehen, ob das klappt.

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So aufregend die Woche also anfing, so langweilig ging sie leider weiter. Während der nächsten beiden Dienste befand sich jeweils keine einzige Frau im Kreissaal. Jetzt kann ich zwar hübsche Sterne für die Weihnachtsdeko basteln, aber über die Geburtshilfe habe ich doch leider wenig gelernt. Immerhin in meinem Nachtdienst habe ich zwei Geburten erlebt. Naja, genauer gesagt nur zwei weitere Kaiserschnitte. Sehr schade! Zumal der zweite Kaiserschnitt wirklich nicht nötig gewesen wäre. Aber Frau Suleihman war bereits mit den ersten Wehen nicht mehr zu bändigen. Sie heulte vor Schmerz, fing an zu hyperventilieren und war kaum zu beruhigen. In den Pausen zwischen den Wehen flehte sie uns inständig an, die Schmerzen zu beenden, das Kind zu holen, nur irgendwas zu tun, damit es aufhöre. Ich muss sagen, ich war ein bisschen verwirrt, schließlich hatte sie bereits ein Kind geboren und damals offenbar die Wehen deutlich besser vertragen. Als sie schließlich auch noch anfing sich zu erbrechen und keine Kommunikation mehr mit ihr möglich war, entschied man sich aus mütterlicher Indikation zur Sectio.

Trotz eines ausführlichen Gesprächs mit Frau Dr. Ruhe-Sanft bestand sie auf eine Vollnarkose für den Kaiserschnitt. Da der Vater des Kindes mitten in der Nacht nicht telefonisch zu erreichen war, standen wir also da mit einem kleinen, schreienden Bündel Mensch. Genauer gesagt: Ich stand da mit einem kleinen, schreienden Bündel Mensch. Normalerweise bekommen die Mütter auch bei einem Kaiserschnitt das Kind direkt nach der Geburt Haut an Haut auf die Brust gelegt um so früh wie mögliche einen guten Kontakt zwischen Mutter und Kind aufzubauen. Bonding nennt man das. Funktioniert aber nur bei Kaiserschnitten mit lokaler Betäubung, wenn die Frau die Arme frei hat um das Kind zu halten. Diesem Job hatte ich also für die folgenden 2 Stunden, in denen die Mutter noch in Narkose lag und dann anschließend im Aufwachraum, wo ihre einzigen Sorgen immer noch Schmerzen waren.

So leid sie mir tat mit ihren Schmerzen, das kleine Mädchen, das ich in den Armen hielt und das die meiste Zeit weinte, tat mir noch viel mehr leid. Seine Mutter wollte es ausdrücklich nicht sehen. Am Ende haben wir es ihr an die Brust gelegt, während Frau Suleihman völlig weggetreten vor lauter Schmerzmitteln nicht einmal in der Lage war sie festzuhalten. Sie hatte noch nicht einmal richtig reagiert. Wenn sie die Augen öffnete, waren ihre einzigen Worte: „Schmerzen, solche Schmerzen.“

Der traurige Teil der Arbeit im Kreissaal ist, dass man die Patientinnen nicht mehr sieht, wenn sie aus dem Kreissaal gegangen sind. Ich hätte gerne erlebt, wie die beiden Brüder der kleinen Marie Sanft ihre Schwester kennen lernen. Ich hätte gerne gewusst, ob Frau Suleihman ihre Tochter doch noch in den Arm genommen hat. So muss ich am Ende sagen, dass es doch eher enttäuschend war, was ich aus meiner Kreissaalwoche mitnehme. Schade.

– Spekulantin

Autor: Spekulantin

Die kochen alle nur mit Wasser

7 Kommentare zu “Eine Woche in Altrosa

  1. bitte vergiss diese diskrepanz zwischen ärztlicher wohlbegründeter entscheidung und dem gefühl des überfahren-werdens auf patientenseite nie. heute ist das nämlich der normalzustand, vielleicht wird das einmal besser? (super artikel, by the way :))

  2. Ist es Dir vielleicht eingefallen,dass nicht jede Frau eine regionale Anästhesie als „gut“ und angenehm empfindet?
    Ist es Dir eingefallen,dass Menschen manchmal keinen Katheter im Rücken haben wollen,weil diese Vorstellung für die vielleicht etwas gruselig ist?Oder,dass sie bei einer OP nicht bei Bewusstsein sein möchten,weil es sie extrem belastet?Schon mal darüber nachgedacht,dass Frauen heutzutage nicht ums Mutterkreuz kämpfen,keine Stillheldinen und Bondingexpertinen sein müssen,um tolle Mütter zu sein?
    Ja,Wunden tun weh,die tun sogar höllisch weh,insbesondere im Bauchraum.Und nein,nach dem KS kann man sich nicht bewegen und sich nicht ordentlich ums Baby kümmern.Deine Solidarität mit Frauen ist „magisch“.

    Und nur mal so nebenbei,es ist nicht eine Sache von „fairness“ einer Frau mitzuteilen,dass Du gerade vor hast den Wehentropf einzusetzen oder eine Saugglocke zu benutzen.Du musst um ihre Zustimmung bitten,damit du überhaupt rechtmäßig handeln könntest.Alles andere ist und bleibt eine rechtswidrige Körperverletzung.Und ja,manche könnten hinterher sehr böse werden,wenn die Fragen und Aufklärung ausbleiben.

  3. Zitieren Sie dann bitte die „Anschuldigungen“.Eindrücke erzeugen andere Eindrücke.Da muss mir keiner zustimmen,und ich muss mich dafür auch nicht rechtfertigen.Wer sich Eindrücke nicht wünscht,schreibt keine Blogs.

    • @BB
      Hm… das kann man aber auch so sehen, dass, wer die im Blog zu lesenden Äußerungen nicht mag, einfach nicht mitlesen braucht.
      Ich finde es, auch als Nichtmedizinerin, recht befremdlich, sein Kind dem Schmerz unterzuordnen.
      Und Bondingexperte? Ist man solch ein „Experte“, wenn man eine Bindung zu seinem Kind wünscht? Ich würde von nicht gewollter Bindung ausgehen, wenn die Mutter das Kind ausdrücklich nicht sehen will. Und auch ich würde denken: armes Kind!
      Und ja, es gibt Anschuldigungen, nämlich da wo ständing die Wiederholung steht: „Ist Dir eingefallen…“ „Ist Dir vielleicht eingefallen…“.
      Dies unterstellt, dass jemand eben NICHT daran gedacht hat bzw. keinen Gedanken daran verschwendet hat.
      Ich finde auch den Ton, in dem beide Einträge geschrieben wurden, unangemessen und agressiv, nicht auf Diskussion sondern auf Streit aus.
      Eindrücke erzeugen Eindrücke.

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